Wie kam es zu eurer Pilotstudie und was macht euer Verein?
Annika Mendrala: Wir sind Annika Mendrala und Johanna Bantzer. Ich bin Opernsängerin, habe zwei Töchter im Alter von acht und dreizehn Jahren und arbeite seit ungefähr zehn Jahren freiberuflich. Davor war ich fest an einem Theater in Heidelberg und davor habe ich schon als Studentin viel gastiert. Das ging alles easy-peasy. Dann bin ich aber in der zweiten Spielzeit, wo ich fest war, aus Versehen schwanger geworden und habe ein Kind bekommen. Damit hat sich mein Leben ziemlich geändert, natürlich auch privat, aber vor allem das Berufliche hat sich unwiderruflich geändert. Ich habe geschaut, dass ich irgendwie dran bleibe und habe einfach immer weitergearbeitet. Mit dem ersten Kind ging das auch noch ziemlich gut. Aber ich hatte den Wunsch nach einem zweiten Kind und ab da hat es sich noch mal sehr verändert.
Johanna Bantzer: Ich bin Johanna Bantzer. Ich bin zurzeit wieder am Schauspiel Hannover als fest angestellte Schauspielerin. Ich war da früher schon und war zwischendurch an der Volksbühne in Berlin. Ich habe auch zwei Kinder, bin aber auch Tochter von zwei Schauspielern. Ich habe den Theaterbetrieb also von verschiedenen Seiten gesehen. Ich habe früher auch mal als Kostümassistentin gearbeitet und kenne den Staatstheaterbetrieb relativ gut, würde ich behaupten. Ich habe immer gesagt, dass ich meinen Beruf eigentlich lieber mache, seit ich Kinder habe, weil ich davon überzeugt bin, dass dieses Leben uns irgendwie bereichert in den Geschichten, die wir erzählen. Mit Verena Usemann2 habe ich zusammen eine Produktion mit Armin Petras3 gemacht. Das war eine Koproduktion zwischen Oper und Schauspiel. Und da habe ich die Bühnenmütter* kennengelernt, wo ich mich jetzt dem Vorstand angeschlossen habe. Wir sind ein spartenübergreifender Verein.
Annika Mendrala: Am Anfang waren die Bühnenmütter* eine Initiative, die Verena Usemann und ich gegründet haben. Wir sind beide Opernsängerinnen und haben als kleine Mädchen an der Staatsoper Hamburg zusammen im Kinderchor gesungen. Wir waren befreundet und haben uns dann über Facebook wiedergefunden, nachdem wir uns 20 Jahre nicht gesehen hatten. Da haben wir festgestellt, dass wir beide Opernsängerinnen geworden sind und dass wir beide Kinder haben. Wir haben uns daran erfreut und uns gegenseitig das Leben erzählt. Dann ist uns aber aufgefallen, dass uns beiden ähnliche Dinge, auch ungute Dinge passiert sind, und haben das der jeweils anderen gespiegelt: ›Das, was du da erfahren hast, nur weil du Mutter bist, war vielleicht nicht ganz korrekt. Das war vielleicht nicht so wahnsinnig nett.‹
Durch diese Spiegelung ist uns klar geworden, dass vielleicht etwas Strukturelles dahintersteckt, und da haben wir uns überlegt, dass wir mehr Frauen fragen und Frauen vereinen wollen, um über diese Thematik zu sprechen. Im Mai 2021 haben wir dann diese Initiative gegründet. Da haben wir einfach Texte entworfen und ich habe gleichzeitig eine Website gebaut. Wir haben uns überlegt, wie wir andere Frauen ansprechen können, und versucht, auch dieses schwammige Gefühl in Sätze zu fassen, dieses Gefühl, dass man irgendwie diskriminiert wird, wenn man im Kulturbetrieb Mutter ist. Dann haben wir eine Facebook-Gruppe gegründet, eine geschlossene, damit die Frauen sich frei äußern können, ohne Sorge, dass irgendjemand mitliest oder sie negative Dinge erfahren. Diese Facebook-Gruppe ist sehr schnell gewachsen und gleichzeitig kam auch vom ensemble-netzwerk eine Kontaktaufnahme. Später haben wir kooperiert und das ensemble-netzwerk hat für unser Anliegen als Multiplikator agiert, indem unsere Pilotstudie auch über seinen Newsletter verbreitet wurde.
Es war klar, dass wir harte Fakten und Zahlen brauchen, um überhaupt auf Politik und Theater zugehen und die vermeintliche Diskriminierung untermauern zu können. Die Pilotstudie war ein Versuch, das Gefühl der Diskriminierung mit Fakten und Zahlen zu überprüfen. Aus diesem Grund haben wir sie entwickelt. Zu Beginn waren wir da ehrlich gesagt sehr blauäugig: Erst mal haben Verena und ich uns Fragen ausgedacht und auf dem Online-Umfrage-Portal Survio geteilt und über die Facebook-Gruppe und alle Kanäle, die wir sonst hatten, versucht zu verbreiten. Tatsächlich haben sich über 120 Frauen bereit erklärt, an der Umfrage teilzunehmen. Das ist für eine qualitative Studie sehr viel. Wir hatten uns besonders darauf konzentriert, welche Dinge sich ändern, wenn man Mutter wird, und wo die Vereinbarkeit nicht mitgedacht ist. Wir haben nach gewünschten und vorstellbaren strukturellen Änderungen gefragt, die helfen könnten, damit Mütter und Eltern sich an Theatern wohlfühlen und gut arbeiten können.
Was wir dabei herausgefunden haben, ist, dass Theaterbetriebe nicht auf Vereinbarkeit ausgelegt sind, sondern dass sie diese Thematik verschweigen, tabuisieren oder ins Private abdrücken. Durch die Tabuisierung der Thematik wird jeder Frau und jedem Menschen das Gefühl geben: ›Entweder du bist hier full on, ganz und gar Künstlerin oder du hast ein Privatleben mit Kind und bist dann nicht mehr engagiert für den Beruf und stets verfügbar.‹ Das führt bei vielen Frauen zu Scham, weil sie spüren, dass sie sich als Künstlerinnen nicht mehr nur auf das System Theater oder auf den Beruf fixieren können, weil sie auch die Mutterschaft leben wollen. Sie fühlen sich beruflich abgewertet, gerade auch durch die Elternzeitpause. Für diese Frauen entsteht ein riesiger Stress. Durch die Elternzeit setzt man die Erwerbsarbeit ein paar Monate aus und befragt sich im Rahmen der neuen Rolle ›Mutter‹: ›Will und kann ich den sogenannten Erfolg noch erreichen? Was ist eigentlich Erfolg für mich? Ist der Beruf mit Familie noch kompatibel?‹ Und dann werden zusätzlich die Berufung und die künstlerische Identität einer Bewertung von außen unterzogen. Diese Strukturen nehmen an, dass Künstler:innen durch die Elternschaft schlechter würden und nicht mehr in der Lage seien 150 Prozent zu geben. Das wollten wir unbedingt thematisieren, besprechen und öffentlich machen – und auch ankreiden, weil das natürlich absoluter Unsinn ist. Ein Jahr später haben wir den Schritt zum Verein gemacht, um eine funktionierende Organisationsstruktur zu entwickeln und finanzielle Mittel einwerben zu können.
Johanna Bantzer: Ich bin dazugekommen, als der Verein gegründet wurde. Das Besondere an dem Verein ist, dass er spartenübergreifend ist, also dass wir unter dem Schirm der Bühnenmütter* nicht nur Leute auf Bühnen, sondern inzwischen auch Leute hinter Bühnen erreichen: Ausstatter:innen, Dramaturg:innen, Bühnenbildner:innen, also ganz unterschiedliche Berufe. Er umfasst die Sparten Tanz, Schauspiel, Oper, freie Szene und auch Leute, die in Staatstheatern arbeiten. Das ist toll, weil man selten Initiativen hat, die das so vereinen. Auf der anderen Seite merke ich, dass die Bereiche total unterschiedlich funktionieren – sowohl im Hinblick auf Arbeitsweisen als auch auf Mutterschaft.
Ich war per Zufall neulich bei einem Zoom von Janina Bendunski4, die das FairStage-Programm in Berlin initiiert. Dabei habe ich zum Beispiel gelernt, dass eine Geburt oder das Stillen für eine Tänzerin natürlich eine völlig andere Ausgangslage bedeuten als für eine Schauspielerin.
Die Vereinsgründung hat ein bisschen länger gedauert, als wir dachten. Da gibt es viel Struktur, die man aufbauen muss. Die Ziele des Vereins sind vielfältig. Für uns besonders wichtig sind Community und Empowerment. Wir machen monatlich digitale Konferenzen, zu denen wir alle, die sich für unseren Newsletter eintragen, einladen. Das ist ein gutes Format, um Leute sehr niederschwellig zu erreichen. Gerade Mütter, die es teilweise nicht schaffen würden, irgendwohin zu fahren, um sich in so einer Community zu treffen. Die sitzen dann abends zu Hause mit ihrem Kind, das sie gerade ins Bett gebracht haben. Man ist immer wieder sehr berührt von dem, was da besprochen wird, und merkt immer wieder, dass es den Leuten wirklich hilft, zu hören, wie andere mit bestimmten Situationen umgehen. Der Austausch ist wichtig. Das sehen wir als Empowerment. Sagen zu können, ›Du kannst dich an die GDBA5 und an das ensemble-netzwerk wenden und wir bieten dir eine Rechtsberatung an‹, ist uns wichtig.
Annika Mendrala: Das ist eine rechtliche Erstberatung. Eine rechtliche Beratung darf man natürlich nicht umsonst machen, aber es ist ein erstes Auffangen einer Situation, um dann weiter zu beraten, ob etwas getan werden kann und was zu tun ist. Diese Einschätzung zu bekommen ist wichtig. Kann ich mich in schwierigen Situationen wehren oder kann ich mich nicht wehren?
Johanna Bantzer: Wir versuchen, immer mehr persönliche Treffen zu organisieren und uns so miteinander zu verbinden, um die Community zu stärken.
Annika Mendrala: Zusätzlich zu diesem Empowerment ist es wichtig, zurückzublicken und das Erlebte oder die Situation zu hinterfragen: ›Was passiert mir? Kreiere ich selbst aus Versehen Missverständnisse oder Kommunikationslücken, da ich schon davon ausgehe, dass meine Situation nicht ernst genommen wird? Befinde ich mich in einer Situation, wo ich keinen individuellen Handlungsspielraum habe, sondern strukturelle Rahmenbedingungen nicht stimmen?‹ Oftmals ist das Problem die strukturelle Rahmensetzung. Außer natürlich, man hat unglaublichen Erfolg und kann damit die Rahmenbedingungen verändern beziehungsweise alles mit einem Vollzeitkindermädchen regeln.
Die Frauen da wachzurütteln und ihnen klar zu machen, dass sie nicht schwach sind und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Unfähigkeit heraus nicht hinkriegen, sondern dass ihnen von außen eine Struktur auferlegt wird, die man mit Familie nicht wirklich gut bedienen kann, sehen wir als unsere Aufgabe. Ein weiteres Vereinsziel ist es, Wissen und Erkenntnisse zu teilen. Wir helfen Müttern, sich zu vernetzen und sich gegenseitig mit Wissen zu unterstützen. Zudem sammeln wir auch Best-Practice-Beispiele von Theatern, die sich dem Thema schon ansatzweise widmen. Ein Haus, das wir immer nennen, ist das Theaterhaus Jena. Das Theaterhaus Jena hat keine große Hierarchie und dort ist sehr viel Mitspracherecht bei den Darstellenden und Künstler:innen gewollt. Dort ist es möglich, eine Familie zu haben und ganz normal zu arbeiten. Pina Bergemann6 erzählt uns immer davon und es hört sich an wie ein Schlaraffenland.
Johanna Bantzer: Ich würde mit dem politischen Engagement weitermachen. Wir wollen ein Familiensiegel entwickeln. Wir wollen davon wegkommen, an der Klagemauer zu stehen, und den Kultureinrichtungen und Theatern die Möglichkeit geben, sich positiv darzustellen. Das Familiensiegel soll ein Zusammenschluss mit anderen Initiativen, dem Szenografie-Bund und Kunsteinrichtungen sein. Das ist aber noch ein bisschen Zukunftsmusik. Da brauchen wir einen langen Atem.
Aber noch mal zu diesen Kulturstrukturen und Leitungsstrukturen: Ich bin 20 Jahre in diesem Beruf und merke, dass sich da in den letzten Jahren extrem viel getan hat. Ich habe auch den Eindruck, dass es mit Corona zu tun hat, dass wir einen Blick auf unsere Strukturen geworfen haben. In unserer Community wird zum Beispiel oft gesagt, dass wir anders proben müssen und bessere Arbeitszeiten brauchen. Allerdings liegt hier ein kulturpolitisches Problem zugrunde: Die Intendant:innen haben gewisse Vorgaben, zum Beispiel von ihrem Träger, wie viele Aufführungen sie spielen müssen. Doch durch die Vorgaben werden Mittel und Ressourcen gebunden, beispielweise bei der Bezahlung. Ich glaube, alle Intendant:innen, für die ich gearbeitet habe, hätten mir gerne mehr bezahlt und gerne gehabt, dass ich meine Kinder abends nicht betreuen lassen muss. Von daher bin ich sicher, dass die Leitung eines Theaters nicht per se mein Feind war, sondern dass wir alle daran arbeiten müssen, dass die Struktur sich ändert.
In meiner Zeit an der Volksbühne in Berlin habe ich gemerkt, dass gerade diese Häuser wirklich umdenken müssen. Sie müssen sich umstrukturieren. Ich habe gemerkt, wie träge und schwer es ist, diese großen Bewegungen mitzumachen. Deshalb macht es mir Freude, mich in einer Initiative zu engagieren. Ich merke, dass Veränderung nur möglich ist, wenn es ganz viele Herde gibt. Nur gemeinsam können wir das schaffen. Familienvereinbarkeit ist ja nicht nur in unserem Job ein Thema, das ist eine gesellschaftliche Frage. Janina Benduski sagte, dass auch der Gang zur Urne nicht unerheblich für kulturpolitische Entscheidungen ist. Der Intendant oder die Intendantin ist nicht die entscheidende Kraft, wenn es darum geht, Gelder zu verteilen, die entscheidende Kraft ist die Politik, die gerade an der Macht ist.
Annika Mendrala: Sichtbarkeit, also diese Thematik sichtbar zu machen, ist ebenfalls ein großes Thema. Wir haben einen Instagram-Account mit über 1600 Follower:innen und immer noch diese geschlossene Facebook-Gruppe, in der inzwischen über 500 Frauen sind und diskutieren und sich informieren lassen. Natürlich gibt es auch einen offiziellen Facebook-Account, aber da sind es nicht so viele. Über 455 Menschen lassen sich den Newsletter schicken und die Sichtbarkeit in der Presse war durch die Veröffentlichung der Studie großartig. Am 15. September 2022 habe ich die Studie abgeschlossen und sie ist wirklich in der Öffentlichkeit eingeschlagen. Wir sind mit großen Sendern und Zeitungen in den Dialog gegangen, haben im TV, in Radioshows und Podcasts auf die Thematik aufmerksam gemacht. Es läuft und es ist rundheraus eine positive Darstellung.
Johanna Bantzer: Noch mal konkret zur Perspektive der Mutterschaft: Was wir oft diskutieren, ist das gesellschaftliche Bild des/der Kunstschaffenden, der/die Drogen nimmt, eine Depression hat und alleine im Zimmer hockt und Kunst macht. Demgegenüber steht das Bild der Frau, die am Herd steht und Kinder großzieht, das nicht mit diesem Künstler:innenbild zusammenpasst. Das ist sehr plakativ und provokativ gesagt. Wir versuchen, das Bild von Mutter und Künstlerin irgendwie zusammenzukriegen und zu zeigen, dass es nicht verstaubt und spießig sein muss, wenn man Kinder großzieht. Man kann Kunst durchaus aus der Perspektive der Mutterschaft machen. Wir arbeiten daran, dass auch auf Bühnen inhaltlich mehr und andere Narrative über Mutterschaft stattfinden. Dass man über Mütter anders redet, als es die letzten paar Jahrhunderte passiert ist.
Annika Mendrala: Durch die Strukturen werden viele Frauen aus dem Beruf getrieben. Die Studie belegt, dass sich viele Frauen umorientieren oder zumindest darüber nachdenken, einen neuen Beruf in Angriff zu nehmen. Und das kommt zusammen mit einer Altersdiskriminierung. Viele Frauen werden ab der magischen Grenze von 40 nicht mehr engagiert, wenn sie als Darstellerin auf der Bühne arbeiten, egal in welcher Sparte. Viele Frauen bekommen heute aber erst mit 35 oder 38 Kinder. Das heißt, diese Pause, die man durch Kinder macht, fällt oft schon mit dem Moment der Altersdiskriminierung zusammen. Sie sind für besetzende Casting-Direktoren nicht mehr spannend.
Johanna Bantzer: Da gibt es auch andere Beispiele. Ich habe eine Frau als Intendantin, die selbst drei Kinder hat, und was Probenzeiten angeht, funktioniert es wirklich gut bei uns am Haus. Ich habe noch nie mit so vielen Regisseurinnen gearbeitet. Man muss auch einfach mal sagen, dass sich die Dinge wirklich verändern.
Annika Mendrala: Das stimmt, aber es gibt auch Theater, wo das nicht so ist. Gerade bei Opernsängerinnen ist es so, dass 40 eine Grenze ist und Frauen danach nicht mehr gerne besetzt werden, es sei denn, sie bedienen ein seltenes Stimmfach. Dann gibt es diese Altersgrenze nicht. Aber ansonsten, und das betrifft leider circa 80 Prozent der Frauen im lyrischen oder leichten Sopran, ist 40 eine magische Grenze – im Ballett sowieso. Auch bei Filmen, das belegt die ›MaLisa-Studie‹7, erscheinen Frauen von ungefähr 40 bis 60, einfach nicht mehr oder extrem wenig im Verhältnis zu jüngeren Kolleginnen und Männern. Danach sind sie wieder als Großmütter einsetzbar.
Ich möchte damit nur sagen, dass wir mehr Mütter auf die Bühne bringen wollen. Die Perspektive der Mutterschaft ist auch wichtig. Das prägt einfach. Wenn man immer nur junge Darstellerinnen sieht, wird die Geschichte der Frau, die 40 oder 50 ist, irgendwie unsichtbar – als sei sie nicht interessant genug, um auf der Bühne verhandelt zu werden. Auch das wollen wir ändern. Wir wollen, dass auch die Regisseurinnen und die Bühnenbilderinnen ihre Perspektive einbringen können. Wir wollen, dass sie, auch wenn sie Mutter sind und struggeln, ihren Beruf weitermachen können, damit wir auch die Geschichten von diesen wunderbaren Künstlerinnen hören, sehen und erleben können.
Was wir als Verein noch anbieten wollen, ist das sogenannte Next-Generation-Projekt. Das bedeutet, dass wir an Hochschulen, speziell Musikhochschulen und Schauspielschulen, aber auch in Kulturmanagement-Studiengänge, gehen wollen, um mit den Studierenden über diese Thematik zu sprechen und sie auch vorzubereiten. Es soll über Familienvereinbarkeit gesprochen werden. Wir wollen Tipps geben und ein Bewusstsein schaffen, damit Frauen zum Beispiel mit einem anderen Selbstverständnis in Verhandlungen reingehen.
Die Ergebnisse unserer Studie waren teilweise alarmierend: 45 Prozent der Studienteilnehmerinnen haben angegeben, dass sie sich diskriminiert fühlen. Jede Vierte hat angegeben, dass sie sogar einen Job verloren hat, dass ein Vertrag aufgelöst wurde oder dass sie aus einer Produktion ausgeschlossen wurde, einfach nur, weil sie Mutter ist. 43 Prozent der Studienteilnehmerinnen geben nicht offiziell an, dass sie Mutter sind, weil sie wissen oder befürchten, dass es zu Einschränkungen in der Auftragslage führt. 94 Prozent wurden in ihrer Ausbildung nicht auf Fragen der Vereinbarkeit vorbereitet. Das ist auch der Grund, warum wir Next Generation ins Leben rufen wollen. Natürlich weiß jede Frau, die Bühnenkünstlerin ist, dass sie Abendproben hat und dass es Vorstellungen gibt, aber darüber, wie diffizil und perfide die Machtstrukturen sind, sollte man alle, die in diese Berufe streben, informieren.
Die Pilotstudie lässt zudem einen Blick in die finanziellen Verhältnisse der Künstlerinnen mit Familie zu. Die Hälfte gab an, dass sie nicht von dem Einkommen leben kann, die andere Hälfte schon. Das hat natürlich auch mit dem Alter des Kindes zu tun und wie viel Betreuung nötig und wie viel Arbeit möglich ist. Grundsätzlich sind die Gehälter und Honorare, die die Frauen angegeben haben, wirklich gering. Vereinzelte Teilnehmerinnen verdienen über 40.000 Euro. Aber die meisten Teilnehmerinnen der Pilotstudie liegen eher im Bereich 10.000 bis 20.000 Euro brutto. 44 Prozent der Frauen verdienen weniger seit der Mutterschaft. Das hat mit der Zeit, die sie in Erwerbsarbeit investieren können, zu tun, aber es hängt auch damit zusammen, dass andere Verträge stattfinden.
Regisseurinnen, die vorher eine gute Karriere hatten und große Produktionen gemacht haben, die herumgereist sind und inszeniert haben, bekommen nach der Babypause auf einmal die theaterpädagogischen Produktionen angeboten. Das heißt, von einer großen Produktion an einem großen Haus geht es dann meistens zur Studiobühne oder in das kleinere Theater. Und theaterpädagogische Produktionen werden einfach schlechter bezahlt. Der theaterpädagogische Bereich ist leider nicht das Prestigeprojekt am Theater. Demzufolge haben auch 71 Prozent der Pilotstudienteilnehmerinnen Angst vor Altersarmut. In Deutschland sind es insgesamt über 50 Prozent der Frauen. In unserer Studie waren es deutlich mehr.
Natürlich machen wir uns über Lösungsansätze Gedanken. Wäre es zum Beispiel möglich, dass man als Darstellerin mit einem festen Engagement in Teilzeit arbeitet? Einige Künstlerinnen können sich das eher nicht vorstellen, da sie jede Probe anwesend sein wollen, damit sie alles mitkriegen. 62 Prozent sagen aber, sie würden das als Traum empfinden. Teilzeit als Künstlerin entspricht wieder nicht diesem Bild des genialen Künstlers, der immer zur Verfügung steht und alles für seinen Beruf tun würde. Doch vielleicht wären Teilzeitmodelle auch Teil der Lösung.
Die Studienteilnehmerinnen durften auch selbst Wünsche, Forderungen und Ideen formulieren. Was sich dabei herauskristallisiert hat, ist, dass sie sich andere Arbeitszeiten wünschen und dass Abendproben nur in den Endproben stattfinden sollten. Es ist natürlich logisch, dass die Vorstellungen abends sind, aber es wurde vorgeschlagen, dass man vielleicht auch darüber nachdenkt, manchmal Nachmittagsvorstellung für Kinder oder sogenannte Kakaovorstellungen, also Seniorenvorstellungen, zu machen. Es wurde gewünscht, dass Samstagsproben nur die Ausnahme und nicht die Regel sind – das ist an einigen Theatern schon so.
Ein ganz wichtiger Punkt sind die Tagespläne, die normalerweise um 14 Uhr des Vortages rauskommen. Diese sehr kurzfristige Planung ist mit einer Familie schrecklich. Wenn man Kinder hat, sagen wir mal, man hat nicht nur eins, sondern zwei oder sogar drei, und die haben alle nur ein Hobby, muss man jeden Tag planen, wer wann wie welches Kind wo hinbringt oder abholt. Da würden sich viele unserer Studienteilnehmerinnen wünschen, dass es einen früheren Arbeitsplan gibt. Für die Chöre gibt es sowieso eine Wochenplanung und es gibt auch grobe Monatspläne. Sie werden nur nicht mitgeteilt, weil sie grob sind und sich noch ändern können. Diese Information einfach mal zur Verfügung gestellt zu bekommen, würde schon helfen. Zudem muss häufig ein Babysitter für eine Abendprobe engagiert werden und das bedeutet Vorausplanung. Die kann man nicht erst einen Tag vorher anrufen. Das ist ein ganz großes Problem.
Wo wir gerade bei Babysittern sind. Ein Babysitter kostet heutzutage zwischen zehn und 15 Euro pro Stunde. Eine Abendprobe geht meistens von 18 bis 22 Uhr und sagen wir mal, ich bin nicht alleinerziehend und habe einen Partner, der aber erst um 19 oder 20 Uhr nach Hause kommt, dann kostet mich so eine Abendprobe schon mal 30 Euro. Das hört sich erst mal nicht nach viel an, aber wenn man zwei Wochen Endproben hat, also fünf Tage in der Woche, sind es schon 300 Euro, die man netto mehr haben muss, damit das Kind zwei Stunden am Abend betreut wird. Ist man alleinerziehend und hat eine Probezeit von 18 bis 22 Uhr plus Weg – also 17:30 los 22:30 Uhr zurück – sind es am Abend fünf Stunden, also 75 Euro für einen Abend. Das sind Kosten, die in einer Gagen- oder Honorarverhandlung nicht mitgerechnet werden. Es gibt Frauen, die – trotz einer abhängigen Beschäftigung – einen Kredit für Betreuungskosten aufnehmen mussten. Es gibt so was wie Kinderzuschüsse, die nicht versteuert werden, sondern die als Zuschuss gezahlt werden können. Da kann man durchaus schnell Verbesserungen erzielen.
Auch die Kinderbetreuung vor Ort an den Theatern ist ein ganz großes Thema. Das hört sich einfacher an, als es ist. Es ist sehr schwer, Betriebskindergärten zu gründen. Kindergärten haben heutzutage viele rechtliche Auflagen. Das ist sehr aufwendig und die meisten Theater haben dafür keinen Nerv und kein Geld.
Johanna Bantzer: Es gibt viele andere Berufe, die außergewöhnliche Arbeitszeiten haben, wie zum Beispiel Pflegeberufe oder Notfalldienste. Zu den Themen ungewöhnliche Arbeitszeiten und Kinderbetreuung bei Abend- oder Nachtschichten könnte man sich auch mit anderen Institutionen verbinden.
Annika Mendrala: Außer Betriebskindergärten könnte es spezielle Nannys geben, die an den Theatern selber sitzen, wo Mitarbeitende ihre Kinder abgeben und später wieder mit nach Hause nehmen können. Einige halten das für eine blöde Idee. Sie wollen ihre Kinder nicht im Theater ins Bett legen, weil sie sie dann schlafend nach Hause tragen müssen. Andere finden das aber gut. Das hat natürlich auch mit dem Alter der Kinder zu tun. Man könnte eigene Tagesmütter oder Kooperationen mit Kitas machen, die andere Öffnungszeiten haben. Etwas wie Babysitterlisten, die in den KBBs hinterlegt sind und die genauso ausgeteilt werden wie Wohnungslisten für Gäste, ließe sich schnell einrichten.
Die Wertschätzung und die Achtung von Care-Arbeit statt Abwertung von Künstlerinnen durch das Muttersein lässt sich nicht durch Fakten belegen. Aber tatsächlich benennen viele Frauen in der Studie eine gefühlte Abwertung, weil sie Mutter geworden sind. Da fallen dann zum Beispiel so Sprüche wie: ›Die hat einen Braten in der Röhre – mal schauen, was die noch kann, wenn sie wieder da ist. Die heilige Johanna kann sie dann ja nicht mehr spielen.‹ Eine Studienteilnehmerin hat den Satz zu hören bekommen: ›Mit jungen Müttern arbeiten wir nicht, die sind unzuverlässig.‹ Es gibt auch Frauen, die in eine andere Berufssparte degradiert werden, indem sie zum Beispiel, wie ich schon erzählt habe, nur noch theaterpädagogische Inszenierungen bekommen oder nicht wieder auf dem Niveau einsteigen können, auf dem sie vorher waren. Sprich, sie haben vorher Hauptrollen erarbeitet und werden im Anschluss an die Elternzeit nur in kleineren Nebenrollen besetzt. Eine andere Teilnehmerin sagte: »Ich durfte die Länge meiner Elternzeit nicht selbst auswählen. Die Intendanz wollte mich dazu zwingen, eine ganze Spielzeit wegzubleiben, damit sie komplett für eine Spielzeit jemanden als Ersatz einstellen konnten.« Das versteht man vielleicht noch ein bisschen aus dem Blick des Theaters, aber dann: »Es wurde mir gedroht, dass ich die Partien dann bei meiner gewollten Rückkehr nicht mehr bekommen würde.« Es wird sozusagen die Macht missbraucht, und die Partie, die ein:e Sänger:in, Schauspieler:in oder Tänzer:in für ihren weiteren künstlerischen Lebenslauf und das Portfolio braucht, als Erpressungshebel eingesetzt. »Nachdem das Theater von meiner Schwangerschaft erfuhr, wurde mir mein Stückvertrag gekündigt«, schreibt eine weitere Studienteilnehmerin.
Ein weiterer schrecklicher Punkt: In der Studie haben mehrere Frauen erzählt, dass sie sich ein zweites Kind nicht gönnen, dass sie wissen, dass man als Künstlerin nur ein Kind haben kann. Mit dem zweiten Kind wären sie dann vorsichtig oder möchten das lieber nicht, weil das Leben dann zu kompliziert würde und sie vielleicht den Beruf aufgeben müssten. »Ich denke, ich verzichte eventuell auf ein zweites Kind zugunsten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie«. Ich habe eine Sängerin kennengelernt, die mir das sehr eindrücklich erzählt hat. Sie war 40 und gerade wegen eines Intendanzwechsels von ihrem Intendanten gekündigt worden. Ihr Kind war da schon zehn Jahre alt und sie sagte, dass sie das zweite Kind immer aufgeschoben oder sich versagt hat, weil sie so gerne am Theater war, weil sie diesen Beruf so liebt und es so schön fand, diese Rollen zu singen. Jetzt ist sie 40, hat keinen Job mehr, singt überall vor und keiner nimmt sie. Sie ist Koloratursopranistin. Sie hat kein zweites Kind und meinte, es sei auch zu spät für sie, weil das andere Kind schon zehn ist. Das fand ich sehr traurig.
Johanna Bantzer: Es ist immer noch üblich, zu sagen, dass die Zeit der Mutterschaft oder der Elternzeit oder die Geburt etwas ist, das uns schwächt. Ich finde, das ist ein Punkt, der aufgeräumt gehört, weil ich der Meinung bin, dass dieses Erlebnis von Mutterschaft ein totales Potenzial hat. Das ist etwas, das wir durch ein neues Bild und eine neue Wertschätzung aufarbeiten müssen – und zwar nicht nur in unserem Beruf. Das ist gesellschaftlich relevant. Wenn du einen Workshop in Silicon Valley machst, hast du plötzlich einen Pluspunkt in deiner Vita, aber wenn du schreibst, dass du ein Kind bekommen hast, ist das ein Minuspunkt. Das macht keinen Sinn, es stimmt einfach nicht. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass ich viel gelernt habe. Ich bin gewachsen, ich kann viel besser managen, ich kann mich viel besser organisieren als vorher. Ich habe Skills erlernt, die mir was bringen. Ich bin nicht bescheuert, weil ich ein Kind bekommen habe. Das Bild, dass Mutterschaft schwach machen würde, ist wirklich etwas, das wir alle überdenken müssen. Was ich allgemein auch noch wichtig finde zu erwähnen, ist, dass wir in unserem Netzwerk jetzt auch eine Dänin haben und auch von Leuten hören, die mit niederländischen Kollektiven arbeiten. Wir müssen vielleicht auch ein bisschen nach rechts und links gucken und schauen, wie andere Länder das so machen. Die sind teilweise wirklich anders strukturiert. Ich habe mal in Oslo gearbeitet und dort sind sie im Sinne der Arbeitsstruktur und der Work-Life-Balance echt anders strukturiert. Dort hat man nicht das Bild, dass wir uns alle totarbeiten müssen. Da kann man sich ein bisschen was abgucken. Das Bewusstsein, in seinem Job nicht alles sein zu müssen, ist total erstrebenswert, und ich glaube, dass das auch langsam in den Leitungspositionen ankommt.
Annika Mendrala: Dieser Gedanke, dass die Mutterschaft ein Minuspunkt ist, hat natürlich damit zu tun, dass die Mutter sozusagen raus ist aus dem Hamsterrad und sich nicht mehr die ganze Zeit fortbildet in ihrem Beruf oder – in unserem Bereich – die ganze Zeit Produktionen macht. Dieses Hamsterrad und auch das Tempo, das im Normalfall gefahren werden soll, gilt es zu hinterfragen. Sollte man das wirklich für erstrebenswert halten? Was nämlich auch passiert, wenn man Mutter wird, ist, dass man in ein anderes Tempo, in eine Ruhe kommen muss, weil ein Baby oder Kleinkind nicht so schnell kann. Ein Kleinkind, das gerade laufen lernt und kleine Käfer auf der Straße sieht, braucht für zehn Meter gut und gerne mal eine halbe Stunde. Das muss man aushalten. Aber das ist auch eine Qualität: Man lernt zu reflektieren, in was für einem wahnsinnigen Strudel wir eigentlich durch den Tag rasen.
Dazu habe ich noch ein cooles Zitat: »Es wäre toll, wenn die Theater dem ›Höher, schneller, weiter, geiler‹-Trend unserer konsumorientierten Gesellschaft etwas entgegensetzen würden. Mehr Produktionszeit statt weniger, Zeit für Recherchen und Textlernen einräumen und anerkennen, geteilte Proben überdenken, Sharing-Modelle zulassen, längere Vertragslaufzeiten verhandelbar machen und weg mit dem Sparmodus. Mütter sind keine halben Künstlerinnen. Sie können und wollen groß spielen, wenn die Rahmenbedingungen es möglich machen.«
Studierende: Ich habe mich gefragt, wo die Stellschrauben sind. Annika, du meintest, wir müssen eigentlich an die Politik. Wo könnte man da ansetzen, eher in der Kommunalpolitik oder ist das etwas Bundespolitisches? Und Johanna hatte, glaube ich, erzählt, dass die Intendanz entschieden hat, dass andere Probezeiten gemacht werden. Kann man sagen, wo die nächsten Steps sind, wo ihr ansetzen könntet? Oder habt ihr da schon Pläne?
Johanna Bantzer: Es ist im Moment so viel in Bewegung: Es gibt das ensemble-netzwerk, es gibt die GDBA, es gibt von politischer Seite total viele Ideen. Gerade vorgestern haben wir eine interessante Mail von einer Bühnenmutter bekommen, die total zufrieden ist an dem Theater, wo sie arbeitet. Sie hat beschrieben, dass die Theaterleitung gesagt habe, dass es so kompliziert aufzufächern sei mit Arbeitszeiten und Löhnen, dass man sich teilweise die Frage stellt, ob es wirklich die Lösung wäre, ein neues Gesetz zu machen. Die GDBA hat die Einstiegs- und Mindestgage für abhängig beschäftigte Künstler:innen hochgesetzt und das ist ja eigentlich ein totaler Fortschritt. Das kann aber bedeuten, dass junge Menschen vielleicht nicht mehr so schnell eingestellt werden, weil sie gar nicht mehr so viel billiger sind als jemand, der zehn Jahre im Beruf ist. Kleinere Theater, die jetzt nicht Berlin, München und Hamburg sind, haben einfach ein gewisses Budget und können nicht mehr Leute bezahlen. Deshalb ist die Frage, wo man in der Politik genau hingeht, eine gute Frage, aber auch eine, die sich extrem schwer beantworten lässt.
Meine persönliche Meinung ist, dass man Druck von unten machen muss. Der Kultursenat ist eigentlich offen und fragt nach unseren Erfahrungen. Und das müssen wir nutzen. Gerade in Bezug auf Mütter müssen wir lernen, Probleme zu formulieren und uns trauen, sie zu adressieren. Wir waren letztes Jahr beim Deutschen Kulturrat eingeladen. Da haben wir gemerkt, dass man sich seit so langer Zeit, ich glaube seit 1993 oder 1998, für die Frauenquote in Kulturberufen einsetzt und viel Geld dafür ausgegeben wird, damit mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Es gibt aber ganz viele Frauen, die sagen, sie wollen nicht in dieses patriarchale System, wo sie von morgens acht bis abends um 21 Uhr im Büro sitzen müssen …
Annika Mendrala: … und unter anderem eben, weil sie ein Kind haben oder Kinder möchten. Und weil sie auch noch ein Privatleben brauchen, weil sie ihre Kinder sonst nicht sehen.
Johanna Bantzer: Dass man eine Arbeitsteilung wählt oder die Arbeit so strukturiert, dass wir uns in Führungspositionen nicht völlig verausgaben, hat auch eine politische Ebene. Diese Modelle müssen wir meiner Meinung nach erfinden und anbieten. Eine Bühnenmutter hat in der letzten Konferenz erzählt, dass sie, als sie unerwartet schwanger wurde, einfach alles aufgeschrieben hat. Sie hat quasi einen Masterplan geschrieben und ihn ihrem Intendanten auf den Tisch gelegt. Sie hat gesagt, dass sie und ihr Mann nie zusammen besetzt würden, dass sie so und so viel Geld kriegen, dass sie dies und jenes machen. Und der Intendant war so platt und überrollt, dass er Okay gesagt, weil er keine bessere Antwort hatte.
Annika Mendrala: Sie hat gesagt, dass sie wieder auf Mindestgage gehen, dafür aber das und das und das wollen. Ich glaube, die Stellschrauben sind verschieden. Eine der Stellschrauben ist das Bewusstmachen, wo Problematiken liegen, damit die Frauen stark werden und anders fordern können. Eine weitere Stellschraube ist es, die nächste Generation vorzubereiten. Und dann ist es ganz klar die Politik. Wir waren beim Fonds Darstellende Künste schon im Gespräch mit der Politik und das ist, glaube ich, die wichtigste Stellschraube. Denn wie Johanna schon gesagt hat: Die Theaterleitungen an sich sind en gros nicht bösartig. Es gibt schwierige Theater, es gibt auch krasse Despoten, aber wenn man mit der Politik spricht, sind es schlussendlich ja die Menschen, die Entscheidungen über Geld treffen. Und seien wir mal ehrlich, die Frauen, die wir in unserem Verein vertreten, sind im Normalfall künstlerisch ausgebildete Frauen, die den/die Steuerzahler:in in der Ausbildung über 100.000 Euro gekostet haben. Das ist ein extrem teures Studium, wesentlich teurer als Jura. Jura kostet, glaube ich, circa 5000 Euro im Jahr und ein künstlerisches Studium kostet 17.000 Euro im Jahr. Das kommt daher, dass wir extrem viel Einzelunterricht haben oder ganz viele Kleingruppen. Da müsste man den Politiker:innen klarmachen, dass sie 100.000 Euro in den Wind blasen, weil sie eine tolle Ausbildung bieten, die diese Frauen fünf oder sechs Jahre bindet und ihnen das Gefühl gibt, dass sie in diesem Beruf arbeiten können, um – egal wann sie ihr Kind kriegen, im Studium, kurz danach oder erst nach fünf oder zehn Jahren – später nicht in den Beruf zurückzukehren. Viele schaffen es einfach nicht. Vieles wird da überhaupt nicht mitgedacht.
Das sind hochsubventionierte Theater, die von der öffentlichen Hand finanziert werden. Andere Betriebe, die von öffentlichen Geldern betrieben werden, sind Behörden und Schulen. Dort Kinder zu bekommen, ist nicht so ein großes Problem. Ganz im Gegenteil. Da gibt es Programme für die Familienvereinbarkeit, da gibt es Teilzeit. Eine Lehrerin kann sagen, ich arbeite dieses Jahr 35 Prozent und nächstes Jahr 75 Prozent und es muss ihr bewilligt werden. Da muss auch für Theater eine Lösung gefunden werden. Zu behaupten, am Theater sei alles anders, weil alles und jede:r der Kunst untergeordnet wird, kann nicht funktionieren. Momentan funktioniert das noch, weil es ein Überangebot an Künstler:innen gibt, aber die Theater haben jetzt schon große Probleme beispielsweise Techniker:innen zu finden. Da gibt es einen Fachkräftemangel. Die Techniker:innen können den Theaterleitungen teilweise die Konditionen diktieren. Auf dieser Seite wandelt sich gerade viel.
Noch eine Sache. Wir haben die Initiative ja gegründet, weil wir dachten, wir sprechen für Opernsängerinnen, Schauspielerinnen und Tänzerinnen. Innerhalb der Pilotstudie hat sich herausgestellt, dass das Problem sehr viel größer ist und dass alle Frauen, die am Theater arbeiten – und damit meine ich auch Frauen in der Verwaltung oder Dramaturginnen –, uns angesprochen und gefragt haben, ob sie mitmachen dürfen. Neulich hat eine von uns einen Podcast aufgenommen und da haben sie gesagt, Bühnenmütter* sei ja leider nur was fürs Theater. Selbst die Schauspielerinnen, die am Film sind, sagen, dass die Strukturen so sind, dass man Schwangerschaften verstecken müsse oder dass man als Mutter nicht mehr so oft gefragt werde. Das Thema ist immer größer geworden.
Der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hat auch wieder einen Gender-Care-Gap8 von 52,4 Prozent ergeben.8 Frauen machen im Durchschnitt 50 Prozent mehr Care-Arbeit und in der Zeit, wo die Kinder klein sind, sind es über 70 Prozent. Das sind einfach die Zahlen. Dazu kommt auch der Gender-Pay-Gap, der bundesweit 20 Prozent beträgt. In bestimmten Bundesländern ist er noch höher. 20 Prozent ist so viel Geld und wenn du alleinerziehend bist und 20 Prozent weniger verdienst und dann auch noch Babysitter für abends bezahlen musst, … das ist einfach ungerecht und diese Ungerechtigkeit muss benannt werden. Es ist ein Problem, das auch die Männer mit angehen müssen. Deswegen wollen wir auch Männer als Mitglieder haben, denn je politischer die Arbeit wird, desto ausgeglichener müssen die Geschlechterverhältnisse werden, weil es alle betrifft. Und das, was wir fordern, wird alle Menschen am Theater freuen. Wenn wir sagen, es soll regelhaft keine Abendproben mehr geben, sondern nur in den Endproben, freuen sich alle im Orchester und auch alle im Chor. Deswegen ist es ein viel größeres Thema und ich kann mir für die Zukunft vorstellen, dass wir irgendwann einen ganz großen Verband machen werden, der Bühneneltern heißt und der dann spartenübergreifend und geschlechterübergreifend ist und vielleicht auch noch in die Filmbranche reingeht oder die bildenden Künstler:innen und Autor:innen mitnimmt. Auch mit denen habe ich mich schon verknüpft und auch sie werden wegen ihrer Mutterschaft diskriminiert.
Studierende: Jetzt, wo wir gerade schon bei diversen Meinungen zu dem Thema sind, habe ich mich gefragt, ob die Kinder auch mal dazu gefragt werden, wie es denn ist, Bühneneltern, Bühnenmütter zu haben, wie sie das erleben. Gibt es dazu schon Ansätze bei euch?
Annika Mendrala: Nein, aber das ist eine sehr gute Idee.
Johanna Bantzer: Ich finde das auch eine gute Idee, obwohl ich mir da natürlich total viele Gedanken mache, weil ich selbst ein Bühnenkind bin. Meine Kinder sind schon Teenager, aber ich merke, wenn ich so zurückgucke, dass meine Kinder sagen, dass manche Familien nicht verstehen, dass der Rhythmus anders ist. Meine Kinder sind aber total stolz darauf und ich habe beobachtet – wir haben so einen Hof in Mecklenburg-Vorpommern mit anderen Theaterleuten –, dass die Kinder von Kreativeltern sich auf einer anderen Ebene begegnen. Das ist wirklich interessant. Mich hat zum Beispiel eine Freundin, die überhaupt nichts mit Theater zu tun hat, gefragt, was eine Künstlerin denn eigentlich auszeichnet. Und weil ich so ein Künstlerkind bin, antworte ich immer, dass Künstler:innen wie alle anderen sind, weil ich das immer runterspiele. Mir ist dann aber aufgefallen, dass ich dachte, dass der Unterschied darin liegt, dass Künstler:innen immer Fragen stellen. Das ist ganz simpel, aber ich glaube, dass sie immer auch ein bisschen eine Perspektive einnehmen, die etwas Beobachtendes, etwas Beschreibendes hat. Im weitesten Sinne ist das etwas, das Kinder total wahrnehmen, behaupte ich. Ich glaube, dass sie sehr teilhaben. Ich zum Beispiel als Kind von Schauspielern habe überhaupt nicht darunter gelitten, dass sie abends Vorstellungen hatten. Ich fand es super, dass wir Babysitter hatten, die ewig lange vorgelesen haben. Aber das ist natürlich auch ein Privileg. Meine Eltern haben noch sehr viel mehr verdient, als man heute im Theater verdient.
Annika Mendrala: Meine Kinder sind total stolz darauf, dass ich diese Arbeit mache. Die verstehen es auch teilweise schon und finden es cool, eine Sänger-Mama zu haben. Sie hassen es, wenn ich lange weg bin, aber sie haben auch gelernt, dass es vorbeigeht.
1 Hierbei handelt es sich um eine Gruppendiskussion im Rahmen eines Hochschulseminars von Nicola Scherer, an der sich auch Studierende beteiligt haben.
2 Mitgründerin und Vorstand des Bühnenmütter e. V.
3 Theaterregisseur
4 Programmdirektorin und kooptiertes Vorstandsmitglied des LAFT Berlin.
5 Die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger.
6 Schauspielerin/Regisseurin und Teil des Vorstandes beim Bühnenmütter e. V.
7 Vgl. Prommer, Elisabeth, Linke, Christine, Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland, Institut für Medienforschung, Universität Rostock 2017.
8 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, 2018 [1. Aufl. 2017], S. 95f.
Die Hamburgerin ANNIKA MENDRALA ist diplomierte Opernsängerin und Gesangspädagogin und sang als Ensemblemitglied und Gast an diversen Theatern im In- und Ausland. Als Konzertsängerin ist sie besonders im norddeutschen Raum im lyrischen Sopranfach zu erleben. Aus Gründen der Vereinbarkeit mit 2 Kindern, hat Annika Mendrala inzwischen zusätzlich eine private Gesangsklasse von 20 Schüler*innen, arbeitet als Stimmbildnerin des Chores St. Johannis Harvestehude und leitet mit C. Bender zusammen das VOKALWERK Hamburg. An der Hochschule der Künste Bern arbeitet sie als Dozentin beim Weiterbildungsstudiengang CAS Singstimme. Sie hat mit Verena Usemann zusammen die Bühnenmütter gegründet.
JOHANNA BANTZER Geboren 1978 in Zürich. Sie wuchs in Hamburg auf und studierte Schauspiel an der Zürcher Hochschule der Künste. In festen Ensembles arbeitete sie am Theater Basel, am Staatstheater Hannover, und an der Volksbühne in Berlin. Derzeit ist sie am Staatstheater Hannover u.a. als „Die Ärztin“ in einer Inszenierung von Stephan Pucher zu sehen. 2021 spielte Johanna Bantzer, neben Martin Vischer die Hauptrolle in der Schweizer Streaming Serie „Emma's Glück“ von Autorin Laura de Veck, unter der Regie von Bettina Oberli. An der Volksbühne war sie u.a. 2020 als Klytaimestra in der „Orestie“ von Thorleifur Örn Arnasson zu sehen, im selben Jahr ebenfalls als „Kaiser von Kalinfornien“ in der gleichnamigen Arbeit von Alexnader Eisenach. Sie spielte 2015/16 an den Salzburger Festspielen die „Gute Werke“ in Jedermann. Johanna Bantzer wurde mit dem Schweizer Filmpreis und dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet und durfte 2005 im Shooting Star Programm der European Film Promo on die Schweiz bei diversen Festivals vertreten. Johanna Bantzer betreibt mit anderen Theaterleuten die Büdnerei Lehsten, einen Kulturort in Mecklenburg Vorpommern, sie ist Vorstandsmitglieder der Bühnemütter e.V. und Mutter von zwei Kindern. Seit der Spielzeit 2022/23 ist Johanna Bantzer wieder festes Ensemblemitglied am Schauspiel Hannover.