Was uns bei diesem Modellprojekt interessiert, ist die Familienvereinbarkeit oder Care-Work und Theaterarbeit. Wir haben uns ja schon mal über Care-Work, Care-Leistungen und so weiter unterhalten, und dein kritischer und versierter Blick auf die Theaterlandschaft wäre spannend, glaube ich. Was müsste sich konkret auf welchen Ebenen verändern? Wie steht es ums Lernen oder Verlernen, wenn man vom Diskursstand spricht? Wie ist das Mindset der Menschen, die diesen Betrieb ja auch mitreproduzieren oder mitgestalten? Was sind Konflikte oder Probleme? Vielleicht sprechen wir einfach kurz über deine aktuelle Rolle im Theaterbetrieb oder darüber, an welchen Häusern du unterwegs warst oder wo du gerade nicht unterwegs bist.
Ich habe natürlich meine eigenen Erfahrungen in diesem Bereich, weil Anna und ich beide am Theater sind. Das heißt, wir haben diese Vereinbarkeit als Paar lösen müssen. Anna habe ich 2004 bei Iwanow an der Volksbühne kennengelernt. Dann ist Fritz geboren worden, als wir nach Köln gingen. Kurz zuvor war Anna am Ballhaus Ost als Dramaturgin. Dann musste sie nach Köln kommen, weil das Ballhaus Ost nicht die Perspektive bot, dass man da als alleinerziehende Mutter arbeiten kann, und es war schon irgendwie klar, dass wir Familienleben wollten. Irgendwann haben wir den Jugendklub Rheinische Rebellen gegründet, den wir bis zum Ende unserer Zeit in Köln zusammen gemacht haben. Das war für sie sozialversicherungspflichtig bezahlt, wie eine Zehn-/Zwanzig-Stunden-Stelle, je nachdem, was man nimmt. Aber wir waren immer frei, selbst koordinierbare künstlerische Arbeiten, die regelmäßig übers Jahr gingen und irgendwann eine Endphase hatten, zu machen. Ich glaube, das Geheimnis, wenn beide fest sind oder feste Jobs haben, ist Mikroplanung. Wenn beide zum Beispiel in Endproben sind – das wäre das Schwierigste –, muss die Großmutter kommen. Die gab es in Köln. Aber es funktioniert auch, wenn man sich den Tag so anguckt, wie das KBB plant. Also wenn man sich anhand der tatsächlichen Tagesplanung fragt, was wichtiger ist, Familie oder Theater, und sich abstimmt, wer wann wo hingeht oder nicht. So hat das funktioniert, glaub ich.
Dann sind wir für meinen Job nach München gegangen. Den nennen wir immer den Brotjob oder den Mietejob. Nach einem Jahr hat Anna angefangen, in der theaterpädagogischen Schiene des Residenztheaters, dem Jungen Resi, zu arbeiten. Und am Ende von München ist Anna dann mit den Münchnern nach Wien und ich bin frei mitgegangen. Ich habe dann um die fünf Dramaturgien am Burgtheater gemacht, plus so ein paar beratende Tätigkeiten und Labore. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich da nie fest war, und Anna hat auch den Absprung vom Burgtheater geschafft, weil sie den Dschungel bekommen hat. Ich glaube, man muss unsere beruflichen Schritte immer zusammen lesen.
Der erste Eindruck an der Volksbühne: Das waren düstere Jahre. Da gab es so abgeschlossene Zirkel und ich als Dramaturg, der auf einer kleineren Stelle sitzt, musste immer alleine arbeiten, konnte aber alles frei einteilen. Also dass man überhaupt hinging, war an der Volksbühne schon was Besonderes. Dafür musste man aber immer eigenständig Sachen machen. Als fixe Termine gab es nur die Dramaturgiesitzungen. Es war leicht, sich da irgendwie einzuteilen.
In Köln war das schon ein bisschen anders. Da gab es eine andere Forderung nach Präsenz. Zwar war man für die Zeitplanung selbst verantwortlich, musste aber mehr da sein. Es gab auch mehr Termine. Und man hatte mehr Produktionen. Da ging es dann irgendwann eher um die Frage, wie viel davon man selbst gestalten kann. Da hatte ich immer den Eindruck, dass Dramaturgiekolleg:innen nie Familien hatten und dass die in Leitungspositionen oder im oberen Management immer nur Theater hatten. Manchmal hatten sie noch eine Beziehung, die mehr oder weniger gut lief, aber wenn dann Kinder dazukamen, wurde es schwierig. Wann war das? 2007–13. Das prägte Köln auch ein bisschen, weil es schon ein anderes Theaterleben mit sich bringt. Wenn man dann doch früh ging oder immer andere Sachen hatte, wurde man nicht ernst genommen. Die Einzige, die tatsächlich immer 17 Uhr ging, war die Intendantin.1 Sie hat das ziemlich exakt eingehalten und sich auch sehr verantwortungsvoll um ihr Kind gekümmert. Damals habe ich mich immer schon umgesehen, welche Dramaturg:innen Familie und Beruf gut vereinbaren, ohne dass sie so merkwürdige Intensiv-Nerds sind oder alles über Anwesenheit machen. Das ist im Berufsfeld der Dramaturgie ja so eine Frage: Wie viel ist man eigentlich da, wie sehr geht man da rein, oder wie bleibt man raus? Da war das Ehepaar Julia Lochte2 und Matthias Günther3 immer ein Positiv-Beispiel. Da merkte ich, dass es auch anders geht. Ich hatte damals eine Phase, wo ich mir sagte, ich muss aufhören, weil diese Vorstellung von Intensität am Theater irgendwie überhaupt nicht zuträglich ist für das, was eigentlich Familienleben bedeutet. Wenn man immer nur den Konflikt oder die Ausnahmesituation sucht, ist das glückliche Familienleben erzählerisch irgendwie nur bedingt hilfreich. Das sind natürlich Vorstellungen von Genie-Künstler:innentum, die da vorherrschen.
Du meinst, so romantisierende Ideen?
Anna Karenina fängt so an, dass gesagt wird, jede glückliche Familie sei gleich, aber jede unglückliche Familie habe eine ganz spezielle Geschichte, die man erzählen kann. Das war jetzt ein bisschen unsauber zitiert, aber darin liegt natürlich die dramatische Qualität dessen, was auf der Bühne passiert – auch als Spiegel unseres Lebens. Irgendwoher muss es ja kommen, dieses Gefühl oder dieses Gespür dafür. Wenn du total zufrieden bist, dann ist es in der Produktion schwierig, König Lear auf die Schliche zu kommen oder das Stück zu verstehen.
Das Eigentliche ist ja diese Kluft zwischen dem, was die Theater auf der Bühne propagieren, und dem, wie sie gebaut sind. Das ist, wenn man Insider im Theater ist, immer ein Spagat, mit dem man leben muss: dass man sagt, das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, wie du in deinem Alltag Entscheidungen triffst. Diese Widersprüche sind immer spürbar und da muss man, wo es geht, eine gewisse Toleranz entwickeln. Aber manchmal geht es eben auch nicht mehr. Heutzutage sind es ja gerade die finanziellen Positionen, die eigentlich das Wichtige geworden sind im Theater. Also wenn ich jetzt darüber nachdenke, wer Karriere gemacht hat in den 20 Jahren, die ich mitbekommen habe, waren das natürlich immer die Budget- und Vertragsverantwortlichen. Die fielen die Treppen hoch. Die anderen gingen stetig ein bisschen bergauf, aber es war nie so explosionsartig. Vielleicht ist das auch einer dieser Widersprüche, dass der Kampf eigentlich innerhalb der Institution liegt, zwischen diesen beiden Ebenen. Und diesen Kampf hat in den 20 Jahren, die ich damit zu tun habe, immer die Verwaltungs- und Geldseite für sich entschieden. Das merkt man, weil die künstlerischen Budgets stärker schrumpfen im Vergleich dazu, wie die Institution wächst. Das Geld zum Produzieren wird tatsächlich weniger. Das heißt, man bezahlt die Leute schlecht, das Ensemble wird jünger, die Bühnenbilder werden kleiner und so weiter, während der andere Teil – der Speckgürtel – bestehen bleibt. Dazu wird immer mehr produziert. Dadurch wird man zu einer Art Selbstorganisierer da drinnen und macht das dann für sich, so gut es geht.
Mit der Entscheidung, nach Wien zu gehen, kam dann auch die Entscheidung, das mal nicht mehr zu machen. Da war es klar, dass es einen Rollenwechsel gibt. Dass ich gesagt habe, dass die Care-Arbeit erst mal hauptsächlich zu mir geht. Dann habe ich einen Partner, der das versteht, weil er das ja selbst so lange gemacht hat. Wir gucken, wie es läuft, sodass ich nebenher noch Sachen machen kann – irgendwie ist das auch eine Art von Ermöglichen durch denjenigen, der den Mietejob hat. Natürlich war es keine gute Idee, in die Selbstständigkeit zu gehen, wenn danach eine Pandemie anfängt, weil man anders abgesichert ist. Es gab aber noch genug Sachen, die gegriffen haben, und das muss man auch dem Burgtheater zugutehalten, dass die Arbeiten, die sie mit mir abgesprochen haben, immer produziert wurden. Ich bin deutlich weniger geschädigt worden als andere Freie. Jetzt passiert es mir häufiger, dass die Arbeiten abgesagt werden, weil kurz vorher Budgetkürzungen kommen. Beim Goethe-Institut zum Beispiel.
So wie du das beschreibst, ist mein Eindruck, dass ihr im Grunde kreativ unter euch versucht, Lösungen zu finden, wie ihr Care-Work und Theaterarbeit gestalten könnt. Jede:r hat mal Raum und Zeit, das zu machen, was er oder sie will, aber es gab eigentlich keine strukturelle Möglichkeit, dass beide der Arbeit nachgehen und dass die Care-Work gesichert ist. Das heißt, diese Situation habt ihr auch gar nicht in der Konzeption, weil die Realität eine andere ist. Ist das richtig interpretiert?
Ja, einer kann ein bisschen freier planen als der andere. Der/die Feste hat immer eine andere Form von Verpflichtung als der/die Freie, zumal man da ja auch tatsächlich in Werkverträgen arbeitet. Das sieht vielleicht anders aus bei freien Dienstverträgen. Für mich ist das Anstellungsverhältnis entscheidend. Wenn jetzt beide Dienstnehmende sind, die weisungsgebunden sind, wird es schwierig. Einer muss Nein sagen können. Oder es gibt Absprachen mit Menschen, die das Neinsagen tolerieren. Das war bei Karin Beier mit Sicherheit so. In München gab es dann den Chefdramaturgen, der selbst einen Sohn in ähnlichem Alter hatte, und deshalb gab es in der Abteilung ein anderes Verständnis davon, wie wir uns organisiert haben. Das war eine sehr erwachsene Dramaturgie, die wenig kontrolliert wurde. Die musste immer Ergebnisse liefern, aber wir wurden nicht ständig im Arbeiten kontrolliert. Das macht schon was aus.
Und wie hast du das Thema Care-Arbeit wahrgenommen? Hast du den Eindruck, dass sich da was bewegt und wenn ja, wo? Ist das eher in der freien Szene? Ist es, dass Kolleg:innen mehr miteinander reden und sich mehr darüber austauschen? Oder hast du den Eindruck, es gibt ein paar Häuser oder Gruppen, die mit dem Thema progressiver vorangehen? Wie nimmst du das im Moment wahr?
Das ist schwierig zu generalisieren, weil es doch spezielle Sachen sind, die man beobachtet.
Du kannst gerne ein paar Beispiele nennen.
Bevor ich nach Berlin gegangen bin, war ich in der freien Szene in Köln. Bei allen, mit denen ich damals Theater gemacht habe, herrschte der Eindruck, die freie Szene sei blockiert durch über 50-Jährige, die die Kanäle und die Häuser besetzen und die Jungen nicht ranlassen. Und siehe da, 20 Jahre später sind die, mit denen ich damals zusammengearbeitet habe, jetzt diejenigen, über die die 20 Jahre Jüngeren dasselbe sagen. Das ist so dieser Modus in der freien Szene. Da hat eine Art Professionalisierung in dem, wie sie planen und budgetieren stattgefunden und trotzdem ist sie alles andere als ›frei‹.
Ich glaube, was mir bei den größeren Institutionen auffällt, ist, dass jetzt alle antreten und sagen, wir machen das vereinbar. Das sehe ich auch beim Team des Burgtheater-Studios. Da ist immer dieses Versuchen, die Arbeit so zu planen, dass Familienleben ermöglicht wird. Das ist schon mal ein erster Schritt, denke ich. Ob es dann gelingt oder nicht und in welchem Moment das gelingt oder nicht und inwieweit das dann wirklich für die harten Entscheidungen Kriterium ist, bleibt offen. Die passieren je größer die Institution ist ja tatsächlich in einer Blackbox. Daran ist in Wien nicht einmal der Burgtheaterdirektor beteiligt, sondern es gibt darüber eine Holding. Sie hat mehrere Theater, die sie nach dem Finanzskandal4 wirtschaftlich führt, und gibt bestimmte Vorgaben. Das sind sowohl Einnahmeerwartungen, aber auch, wie oft man spielt und so weiter. Sie hält die Schalthebel in der Hand und alle, die da drinnen sind, müssen danach funktionieren. Wenn ich also Familienvereinbarkeit machen würde, müsste das da ein Kriterium sein. Aber das ganze Land weiß, dass das keine guten Arbeitgeber sind. Aus vielen Gründen. Dann bist du aber im Bereich Arbeitsrecht oder spezieller im Bereich des Theaterarbeitsgesetzes. Da müsste es formuliert werden. Ich finde, die Wahrnehmung ist gestiegen, aber ich würde nicht sagen, dass sich die Situation verbessert hat.
Und was wären das für Sachen, die da konkret drinstehen müssten? Was heißt dann eigentlich vereinbar? Wann ist es aus deiner Einschätzung wirklich vereinbar?
Das ist schwierig, da jeder Prozess, jede Abteilung und jede Aufgabe mit dem Thema Familienvereinbarkeit zusammenhängt. Die Häuser werden das Thema in Einzelverträgen nicht fixieren, da es dann ihre Verantwortung wäre. Warum sollte ein Arbeitgeber sich dazu positionieren, wenn das nicht mal auf der gesellschaftlichen Ebene stattfindet? Man kann sicher andere Vergünstigungen oder Unterstützung überlegen, zum Beispiel mit der Familienbeihilfe.5 In den 20 Jahren, die ich am Theater gearbeitet habe, habe ich zum Beispiel nie ein Zeiterfassungssystem gehabt. Es gab nicht einmal was, wo ich wirklich aufschreiben musste, wie viel ich arbeite. Das ist relativ ungewöhnlich, denn das gibt’s jetzt schon.
Bei mir war das nie gefragt. Ganz am Ende in München gab es ein bisschen Ärger zwischen künstlerischer Ebene und Verwaltungsebene, also auf einer höheren Ebene. Da wurde gesagt, dass wir jetzt alle unsere Stunden aufschreiben müssen, und zwar immer unter dem Deckmantel, dass man die Mitarbeiter:innen davor schützen wolle, zu viel zu arbeiten. Da habe ich es aber auch nicht gemacht. Es hat aber auch niemanden gestört. Ich musste auch nie einen Urlaubsantrag stellen. Ich bin immer weggefahren in Absprache mit meinen Kolleg:innen. Es gibt verschiedene Maßnahmen, in denen man flexibler arbeiten kann, wo man eher danach bemessen wird, was funktioniert und was nicht. Das ist ein anderer Umgang miteinander, der vielleicht an bestimmten größeren Institutionen nicht mehr funktioniert, aber der natürlich in einem künstlerischen Team besser gelingen kann. Das heißt, wie das vertraglich geregelt ist, weiß ich gar nicht so genau. Es geht darum, wie man miteinander arbeitet, wie man delegiert, wie man sich Ziele setzt und guckt, ob sie erreicht sind, um dann zu überlegen, wie man es anders machen kann – ohne ein System, das vorgibt, wie es funktionieren muss.
Was sich zum Beispiel ändern müsste, ist, dass in diesen Führungsebenen einfach mehrere sitzen. Das kann nicht immer nur bei zwei – im Falle des Burgtheaters – älteren Männern liegen, die singulär entscheiden und dafür sorgen, dass sie wichtig sind – das sind ja eigentlich immer juristische Konstruktionen. Es ist nicht so, dass ich da Lösungen anbieten könnte, aber sobald es so eine Art Chain of Command gibt, kann man dieser nicht ausweichen oder etwas anders machen. So scheint es mir. Es fällt eine bestimmte Menge an Arbeit an, das ist ja klar, sonst würde es den Job wahrscheinlich nicht geben. Aber in der Art und Weise, wie etwas bearbeitet wird, muss es okay sein, wenn ich sage, dass ich einen Kindergeburtstag habe, wo ich Lieselotte jetzt hinbringen muss, und nicht zu der Probe kommen und meinen Senf dazu abgeben kann. Das ist dann eine dieser Mikroentscheidungen für den Tag. Solche gemeinsamen Entscheidungen in den Probenzusammenhängen gibt es zuhauf, aber eher informell. Bei den Theatern, bei denen das unvereinbar wurde, lag das daran, dass sich immer mehr für das Theater entschieden wurde. Dann wird es irrsinnig anstrengend, zumal man durch diese Abend- und Wochenendzeit tendenziell natürlich auch einen größeren Zeitraum am Tag mit dem Theater zu tun hat. Wenn das schiefläuft, entsteht eine langfristige Erschöpfung daraus. Ich glaube, im Umgang mit diesen Sachen liegt der Schlüssel zu mehr Vereinbarkeit.
Hast du das Gefühl, dass es auch einen Konflikt gibt zwischen Kolleg:innen, die Kinder haben, und denen, die keine haben?
Ja, klar. In Köln gab es zum Beispiel die Chefdramaturgin, die keine Kinder hatte und nur fürs Theater gelebt hat. Die konnte das einfach nicht verstehen. Sie war aber auch Humanistin und ein guter Mensch, sie fand es einfach nur langweilig und das merktest du. Das wurde dadurch aufgefangen, dass man innerhalb der Abteilung, mit der man inhaltlich gearbeitet hat, wieder gleichberechtigter war und sich aufgeteilt hat. Dann funktioniert das auch. Das einzige Mal, dass ich eine Abmahnung angedroht bekam, war, weil ich auf Hochzeitsreise gegangen bin. Das hatte ich eigentlich mit meiner direkten Vorgesetzten abgesprochen, die sich aber nicht daran erinnerte, und da war ich auf einmal eine Woche weg. Das ist natürlich ein Rahmen, wo man sagen muss: ›Moment mal, das geht vielleicht nicht.‹ Das habe ich dann auch verstanden. Ich hatte kein Unrechtsbewusstsein, wie es so schön heißt, und hab gesagt, dass ich es doch abgesprochen hätte. Aber sie erinnerte sich nicht daran, und das kann ja auch sein. Ich bin auch mal eine Woche früher in Urlaub gefahren und das ist aus Sicht des Arbeitgebers ganz schön frech. Da würde ich auch denken, dass das nicht sein muss. Für so etwas ist Zeiterfassung schon eine Lösung. Das erlebe ich jetzt am Burgtheater. Da schlüsseln sie das ganz genau auf und sagen, wie viel Zeit man für bestimmte Aufgaben veranschlagt. Man schaut, dass diese Sachen nachgehalten werden und guckt, wie viel Zeit das, was wir jetzt geplant haben und was wir machen wollen, braucht. Wenn man miteinander klar hat, dass man in einer Familie, wenn beide berufstätig sind, vielleicht 100 Stunden, vielleicht noch 120 Stunden schafft, aber sicher nicht 160, dann weiß man auch, ob man das miteinander hinbekommt oder nicht. Ich glaube, das ist eher was für diese großen Institutionen und es erfordert eine relativ genaue Prognostik. Auf der anderen Seite ist es ja alles andere als inspirierend, so zu denken. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dass ich Cross-over-Tanztheater mit einer Rock-’n’-Roll-Band, einem brasilianischen Choreografen und einer japanischen Tänzerin machen will, kann ich ja nicht sagen, wie viel Zeit das braucht. Und wenn ich gezwungen werde, von dem wegzugehen, dass alles so mystisch-künstlerisch zustande kommt, sondern es als handfestere Arbeit betrachte, dann bedeutet dieser Weg natürlich eine Art Entzauberung des künstlerischen Prozesses. Ich erlebe an den Institutionen immer häufiger, dass diese Art, wie Kunst oder auch Künstler:innen verklärt werden, ein Panzer dagegen ist, die Dinge rationaler zu gestalten. Je mehr die Ansprüche aus der Gesellschaft kommen – und die kommen ja nicht nur über Care-Arbeit, Familienvereinbarkeit und so weiter, sondern auch von den jüngeren Generationen, die anders angestellt sein wollen, weil sie ein anderes Gewicht auf diese Work-Life-Balance legen –, desto wichtiger wird es, das zu ändern. Aber die Reaktion darauf ist immer noch, das Künstlerische zu verklären, es noch mystischer zu machen.
Wenn man überlegt, wo in der Gesellschaft das Patriarchat eigentlich sitzt, dann finde ich es auch in dieser Frage, was Kunst ist und was nicht. Und das habe ich wirklich über: dass man die ganzen Arten, die Dinge neu anzugehen, doch über dieses Altmeisterliche, über diesen Odem, der mir eingeblasen wird, also auf einer Ebene, die dir nicht zugänglich ist, erklärt. Das, was jetzt so marodiert erscheint, erkennen wir, weil wir Entscheidungen viel mehr hinterfragen. Das ist wahrscheinlich ein sehr richtiger Zustand. Wir glauben dem Arzt nicht mehr. Sollten wir jetzt Dramaturg:innen glauben, dass sie wissen, was das Richtige an so einem Haus ist? Gerade für diese Abteilung ist es ja besonders zersetzend. Dass sie dann aber umso mehr auf diesen Faktor, der im Unmessbaren ist, setzen – Zeiterfassung, Geld, das ist alles irgendwie messbar –, stützt natürlich die Behauptung vom Recht auf die Freiheit der Kunst, und dagegen kann man wenig machen. Wenn ich jemanden sehe, der in einem Verblendungszusammenhang steht, kann ich der Person schlecht sagen, dass sie sich belügt. Das ist einfach ein schlechtes Argument am Theater. Da muss man irgendwie anders rangehen.
Da stellt sich wieder die Frage, welche Perspektiven wir eigentlich brauchen – vielleicht auch aus unterschiedlichen Hierarchien des Betriebs oder von Leuten, die gar nichts mit Theater zu tun haben.
Aber das gibt es zuhauf jetzt. Die Mediation ist sozusagen die neue Lieblingsaufgabe an Theatern.
Meinst du Mediation im Konfliktfall?
Ja. Ob es jetzt Dortmund, Wien, Hamburg oder wo auch immer ist: Wenn solche Konflikte auftreten, wird von außen Hilfe geholt. Das ist aber eher ein Verarzten. Symptombekämpfung, aber keine Ursachenbekämpfung.
Ich meine gar nicht für die dramaturgische Arbeit, sondern eher im Hinblick auf die Struktur, unter der wir Kunst produzieren. Ich glaube, dass es Kriterien gibt, wie Institutionen in Zukunft aufgestellt sein müssen, weil sie sonst aus Förderstrukturen hinausfallen – sei es in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit oder Gendergerechtigkeit.
Der Dschungel zahlt zum Beispiel eine Strafe, wenn er nicht genug I-Mitarbeiter, also ›Inklus‹, hat. Das finde ich irgendwie greifbar. Man müsste es halt definieren und zählen können.
Ja, das wird massiv mehr werden. Und ich glaube, dass die Institutionen, die jetzt oder in den nächsten zwei bis drei Jahren mit der Transformation beschäftigt sind, die sein werden, die auch überleben. Es ist durchaus realistisch, dass manche Institutionen im Zuge der Ressourcenknappheit auch mitkriegen werden, dass sie so, wie sie jetzt gebaut sind, nicht weiter bestehen können.
Das ist es. Deswegen argumentiere ich aus Dramaturgensicht, denn letzten Endes ist mir die Institution bei dem, was ich mache, egal. Ich versuche als Dramaturg:in nicht, institutionserhaltend zu arbeiten. Überall, wo ich beobachte, dass Dinge nicht funktionieren, habe ich das Gefühl, dass etwas Grundsätzlicheres geändert werden muss, als dass man jetzt zum Beispiel gezielt Regisseurinnen befragt. Das ist natürlich ein Weg, aber ich muss ja zumindest Bühne und Kostüme berücksichtigen. Und ich muss auch nicht bei den Gewerken aufhören. Diese Reaktion, einfach irgendwas zu machen im Künstlerischen, ist so hilflos. Ein anderes Beispiel ist Diversität im Ensemble. Das ist ja relativ leicht herzustellen. Das funktioniert dann nur sehr oberflächlich über Sichtbarkeit. Damit ändert sich gar nichts. Was das in einem Betrieb eigentlich bedeutet, bleibt unberührt. Man darf die Institutionen nicht so leicht damit durchkommen lassen, dass sie es in ein, zwei Fällen mal gemacht haben und nun denken, sie hätten es hinter sich. Wenn es speziell um Familie geht, geht es um ein Thema der sozialen Gerechtigkeit oder Gendergerechtigkeit. Und andere Themen, die ebenfalls drängen, wie zum Beispiel koloniale Gerechtigkeit, lassen sich dann nicht angehen. Man müsste vom angestrebten Ergebnis her denken und sich danach entscheiden, was man machen will.
An diesen großen Institutionen existiert so etwas wie eine Drei-Klassen-Gesellschaft in den Ensembles: die mit den alten Verträgen und einer gewissen Freiheit und Berühmtheit, die dazwischen, die auch mal etwas Großes kriegen, aber auch viel zwischendurch machen müssen, und die, die alles machen müssen. Und die, die alles machen müssen, sind auch die, die am schlechtesten bezahlt werden. Innerhalb dieser Strukturen existiert extrem viel Ungerechtigkeit. Das wird natürlich auch nicht angegangen. Dass man ganz genau rechnen und alles immer doppelt kontrollieren muss, wie jetzt am Burgtheater, führt zu so einer Pfennigfuchserei, finde ich. Die funktioniert aber nicht im Großen, sondern im Kleinen, und das ist, was an den meisten Theatern passiert, die ich kenne. Da wird ausgerechnet, ausgerechnet, ausgerechnet, und im Grunde trifft es immer nur die, die danach kommen, die Assistent:innen und so weiter. Und das ist ihnen auch alles klar. Dann werden so kleine Hilfsmaßnahmen versucht, aber jemandem, der seit 25 Jahren in der Institution ist, sei es in der Requisite oder sonst wo, dem geht es vertraglich oder arbeitsrechtlich gesehen deutlich besser als dem jungen Schauspieler, der da gerade reinkommt. Da können jetzt beide Familien haben und auch Familien in unterschiedlichen Zuständen, aber da wird es schon schwierig, das mit allgemeinen Maßnahmen gerechter zu gestalten. Ich glaube, was jetzt wichtig ist, ist eine Art Gleichstellungsbeauftragte:r oder auch, dass Konfliktfälle gemeldet werden. Das ist eine positive Auswirkung von MeToo. Wenn man sich dadurch belastet fühlt, dass man sich um seine Familie kümmern muss und gedisst wird, weil man dies und jenes nicht machen kann, kann es ja theoretisch einen Effekt haben, dass es eine:n Ansprechpartner:in gibt, der oder die dann zu einem Gespräch kommt, oder wenn wiederholt Gespräche stattfinden. Ich finde, die Sachen werden schon viel deutlicher aufgenommen oder wahrgenommen. Auch dass man anfängt, so übergriffige Kommentare wie, ›Ja, du musst ja immer nur bei deinen Kindern hängen‹, und andere solche Sachen zu zählen und festzuhalten, wird häufiger. Das hat zwar irgendwie was Hinterhältiges, aber indem man versucht, diese Sachen zu sammeln und zusammenzuführen, wird klar, dass eine bestimmte Art von Verhalten in Führungspositionen einfach nicht mehr geht. Und man merkt schon, dass das greift. Da besteht natürlich die Gefahr, dass diese Ebene, die vorher leicht zu lesen war, eher noch intransparenter wird. Das ist wahrscheinlich eine Diskussion, die in deinem Bereich viel geführt wird: dass die Gegenmaßnahmen ›von unten‹ immer dazu führen, dass man sich von oben dagegen professionalisiert, sodass sich am Ende nicht mehr ablesen lässt, wo der Effekt im Sinne der Gerechtigkeit stattgefunden hat. Es gibt ja ein paar Theater, die versucht haben, es anders zu machen, zum Beispiel Dortmund.
In dieser Projekt sind Münster und Oberhausen dabei, die teilweise auch unter weiblicher Führung oder kollektiver Führung sind. Ich glaube, das sind auch Veränderungen, die merkbar sind. Bei Kampnagel habe ich sowieso den Eindruck, dass sie sehr weit sind, was eine moderne Betriebsführung angeht. Jonas Zipf6, der jetzt für Transformation verantwortlich ist, sagt auch, dass ein wirklich großer Unterschied die Diskurskenntnis aller Mitarbeitenden von der Garderobe bis zum Ticketverkauf sei. Da musst du den Leuten nicht mehr erklären, was Gender-Equality ist. Du musst Inklusion nicht erklären und auch nicht Antidiskriminierungskonzeptionen für den Arbeitsplatz. Das heißt, du fängst ganz woanders an. In meiner Forschung habe ich das bisher vor allem bei Nachwuchsfestivals beobachtet, also bei jungen Leuten, die kunstspartenübergreifend gemeinsam Festivals machen und völlig andere Konzeptionen fahren, wie sie Arbeit organisieren. Das ist radikal anders. Sie fragen sich auch, wer gerade welchen Bedarf hat, wer gerade etwas reingeben kann, also wie viel Zeit jemand in welcher Woche hat. Wo kann ich viel arbeiten? Wo kann ich wenig arbeiten? Wo habe ich vielleicht Care-Work oder sonstige andere Sachen? Brauche ich gerade viel Geld oder brauche ich wenig Geld? Das geht natürlich in so kleinen Operationseinheiten viel besser. Ich fand es superschön, zu beobachten, dass es okay ist, dass zum Beispiel einer mit seinem Studentenzimmer und ohne hohe Ansprüche sagt, er bräuchte nicht viel Geld, es dann aber andere im Team gibt, die zwei Kinder haben und eine Kita bezahlen müssen. Social Pricing nennt man das Konzept, also dass man auch auf der Gehaltsseite überlegt. Das ist natürlich etwas, das in so Labor-Blasen mit einem kleinen Team gut funktionieren kann, aber auch etwas, das nicht ganz konfliktfrei ist, weil es bestimmte Perspektiven, glaube ich, nicht bedenkt. Leute, die jetzt mit 20 solche Projekte machen, denken im Moment vielleicht noch nicht daran, dass sie irgendwann eine Rente brauchen oder irgendwann selbst in eine andere finanzielle Situation kommen. Das ist also sehr gegenwartsbezogen.
Da stellt sich ja wieder die Frage, welche Verträge sie eigentlich haben oder wie man das nennt.
Genau. Und letzten Endes ist es ein Thema, das nicht nur Theaterbetriebe betrifft. Auch die gesellschaftliche Haltung gegenüber Care-Arbeit, gegenüber dem Raum, der Zeit und der Aufmerksamkeit, die Kinder brauchen, ist relevant. Und die Perspektive der Kinder darf man dabei auch nicht vergessen.
Mir ist man immer mit einem leichten Bedauern begegnet, wenn ich gesagt habe, dass ich Kinder habe, fast so als würde man mit einem trockenen Alkoholiker sprechen. Zu sagen, dass man versucht, weniger zu arbeiten und genauer zu gucken, was man arbeitet, war immer merkwürdig. Da müsste jetzt auch gesellschaftlich was geschehen, aber das bedarf Änderungen, die man überhaupt nicht steuern oder nur über einen langen Zeitraum planen kann. Und dann gibt es da noch Rollenzuschreibungen und gesellschaftliche Erwartungen.
Mir ging es auch so. Die Universität Hildesheim ist natürlich familienfreundlich, aber im ersten Personalgespräch während der Pandemie wurde ich besonders dafür gelobt, dass ich nicht immer die Kinderkarte ausspiele, so wie ein anderer Kollege, der gerade ein Baby und ein Kleinkind zu Hause hatte und dann ab und zu mal bei Sitzungen fehlte oder mit Baby im Hintergrund im Zoom-Meeting war. Dass ich vermeide, das zu thematisieren, war mir vorher gar nicht aufgefallen. Das Gegenüber ist schnell gelangweilt von Erzählungen über Familie und man bekommt gespiegelt, das sei im Berufskontext irrelevant.
Da zeigt sich auch wieder die Kluft zwischen dem, was die Institution, für die man arbeitet, propagiert, und dem, wie Entscheidungen wirklich getroffen werden. Ich habe das Gefühl, dass die Pandemie eher dazu geführt hat, dass es sich wieder ein bisschen verschlechtert hat. Was ich am Burgtheater manchmal gemerkt habe, ist, dass oft die gelobt wurden, die sich in Hinblick auf ihre eigene Gesundheit extrem fahrlässig verhalten haben – zum Beispiel als während der Pandemie viel mehr Arbeit angefallen ist. Besonders gelobt wird dann die Person, die sich erschöpfungsmäßig in eine Extrem- oder Grenzsituation gebracht hat, also keine Urlaube, Überstunden, all diese Sachen. Dann frage ich mich, von welchen Werten wir reden. Führungskräfte müssen die Mitarbeitenden von so einer Selbstausbeutung abhalten, weil die Benchmark, die sie mit so einem Verhalten setzen, für alle anderen eine völlig falsche ist. Solche Ausreißer:innen gefährden die Stabilität.
Ich wollte auch auf das Ausmaß zu sprechen kommen: Künstlerinnen haben Babysitter eingekauft, um diese Drei-Wochen-Proben machen zu können, und Kredite aufgenommen, damit sie es sich überhaupt leisten können, die Care-Arbeit auszulagern. Das sind ja Dimensionen, die in anderen Berufsbereichen überhaupt nicht darstellbar wären. Da ist der künstlerische Betrieb tatsächlich noch weit hinten dran. Warum das so ist? Ich glaube, das liegt vor allem an dieser Mystik und der Aufrechterhaltung der Erzählung, dass es Gründe dafür gibt, warum die Arbeitsverhältnisse schlecht sein müssen. Aber das ist so ein bisschen auserzählt.
Ja. Auch dieses Verwechseln, dass Intensität auf den Proben mit intensivem Verhalten zusammenhängt, also sich das Leben auf den Proben zur Hölle zu machen, um irgendwie ein Ergebnis zu erreichen, ist völlig unangemessen. Es kann ja sogar sein, dass man, indem man sich gegenseitig sehr schlecht behandelt, gemeinsam ein Produkt erzeugt, das für das Publikum und künstlerisch interessant ist. Aber das muss es eigentlich nicht geben.
Es geht ja auch im umgekehrten Fall: Wenn man zum Beispiel mit der Spieltheorie oder anderen kreativen Methoden mitgeht, dann lässt sich diese Intensität auch auf anderem Wege herstellen. Ich glaube, Intensität ist für den künstlerischen Prozess total wichtig, aber das geht ja nicht nur über Negativschleifen.
Aber das funktioniert auch. Die schwarze Theaterpädagogik funktioniert künstlerisch, und wie soll man seine künstlerische Perspektive umdrehen, wenn man das jetzt 30 Jahre oder 40 Jahre gemacht und immer in so einem komischen, leicht menschenfeindlichen Nihilismus gehangen hat? Noch mal zurück zu der Betreuung: Da gab es ein Beispiel, bei dem beide als Spielende fest im Ensemble sind. Sie haben drei Töchter und geben den Hauptteil ihres Geldes für Babysitter aus, weil sie das sonst nicht geregelt kriegen. Da finde ich es okay, beide verdienen gut. Wenn man Schauspieler:in ist und am Abend da sein muss, muss man halt da sein. Das ist wirklich das Einzige, was nicht schiefgehen darf. Das bedeutet natürlich eine andere Sichtbarkeit oder Verantwortung.
Ja, klar, aber dafür gibt’s ja auch Ideen. Neben Betriebskindergärten gibt’s in größeren Städten in anderen Ländern Kindergärten, wo Kinder in einem Kontext untergebracht sein können, den sie kennen, mit Erziehungspersonen, die sie kennen, mit Abläufen, die sie kennen, und wo man auch verabreden kann, dass die Kinder mal übernachten oder bis spät bleiben. Oder es gibt eine Theater-Nanny, wo dann zwei, drei Kinder von der Produktion sind, die sich dann auch kennenlernen.
In Köln haben wir das mal diskutiert, weil viele in dieser Situation waren mit kleinen Kindern. Das hat sich auch in dem ideenfindenden Teil der Institution ein bisschen gehäuft, aber letzten Endes ist nichts daraus geworden, weil alles so klamm war.
Das auf anderer Ebene zu lösen, ist auch viel zu kompliziert. Die Voraussetzungen, um eine Betriebskita zu machen, sind kompliziert. Die Theater haben dafür kein Geld. Das sind tatsächlich eher politische Entscheidungen. Da muss Geld auf anderer Ebene woanders hinfließen – und Geld ist trotz der desolaten Situation ja da.
Ja, aber ich finde, dass der Kampf um das Geld eher zu einer Art Zementierung von Positionen geführt hat. Wenn ich mir zum Beispiel die Betriebsräte an den Theatern angucke, die sich jetzt wieder um ihre Arbeitnehmer:innen und auch um deren Familien kümmern sollten, sehe ich, dass sie das gar nicht tun. Sie tun das natürlich für die Familien derer, die fest angestellt sind, aber keinesfalls für die Familien derer, die frei sind. Diese Sachen rücken wieder auseinander. Es ist tatsächlich so, dass dieses Thema bei Freien – außer es sind prominente Regisseur:innen – im Moment total weggedrückt wird. Das ist eine Reaktion auf die Krise.
Das ist alles schlimm. Wenn du dir als Institution nicht so etwas wie eine Qualitätsplakette aufkleben kannst, bist du irrelevant. Auch bei der Beauftragung mit Projekten läuft es entweder über Vitamin B oder eben über diese Plaketten. Wie du gearbeitet hast und wie du mit dem Team gemeinsam zu Lösungen gekommen bist oder ob irgendwelche interessanten neuen Ideen entstanden sind, das ist eigentlich egal.
Der Wert deiner Arbeit wird anhand der Jahre in der Institution bemessen. Wie genau der Wert einer Tätigkeit für den Arbeitgeber berechnet wird, ist nicht festgelegt. Zum Beispiel müssten Leute, die Care-Arbeit leisten, besser bezahlt werden als jemand, der mit wenig Geld klarkommt. Da gäbe es ja ganz andere Möglichkeiten. Da würden die Häuser aber wahrscheinlich immer auf den Gesetzgeber verweisen. Wir können unter uns ja keine andere Steuergesetzlichkeit aushandeln. Aber so müsste es ein. Doch dass die Gesamtleitung eines Hauses das fair regelt, nicht nur im Hinblick auf den künstlerischen Teil, sondern auf das gesamte Theater, passiert nicht. Vergleichbarkeit ist kein Kriterium. Daher kommt es auch, dass in all diesen Verträgen immer drinsteht, dass man nicht über die Vertragsinhalte reden darf. Das ist selbst aus so einer veralteten linken Perspektive total merkwürdig. Gleichzeitig gibt es in dieser gewerkschaftlichen Betriebsratsarbeit eine extrem institutionserhaltende Perspektive, die in dem Kampf ›fest vs. frei‹ total ungünstig läuft. Gendergerechtigkeit bei Freien ist noch mal ein ganz anderes Thema als Gendergerechtigkeit bei Festen.
Das ist tatsächlich problematisch, weil es an der Lebensrealität vorbeigeht, wie Theater als Betriebe operieren. Ohne die Freien wären sie ja total aufgeschmissen, weil sie ihr Programm gar nicht machen könnten, ob es jetzt freie Techniker:innen sind oder freies künstlerisches Personal. Sie seitens der Leitungsebene aus solchen Verhandlungen oder aus der Verantwortung auszuklammern ist nicht richtig.
Auch in Sachen Betreuung. Ich hätte als Freier niemanden in der Institution, an den ich mich wenden kann. Da würde der Betriebsrat sagen, dass er nicht zuständig ist.
Aber um mal auf die UN Sustainability Goals zu kommen: Die Naturwissenschaftshistorikerin und Frauenforscherin Donna Haraway7 hat gesagt, wir sollen einfach keine Kinder mehr kriegen, wenn wir wirklich CO2 sparen wollen. Als sie das gesagt hat, dachte ich, das darf ja nicht wahr sein, es muss doch einen Aufschrei geben. Aber den gab es nicht. Letzten Endes würde das bedeuten, dass das, was wir jetzt besprechen, immer nur aus der Haltung rührt, dass Kinder für die Zukunft der Gesellschaft stehen, also aus einer dem Leben gegenüber positiven Grundeinstellung. Wenn man aber doch irgendwie das Gefühl hat, dass alles so ein bisschen hypertrophiert, müsste man es eigentlich unterstützen, dass die Menschheit wieder kleiner wird. Das wäre eine Möglichkeit, deutlich mehr Klimaziele zu erreichen. Aber ich fand das schon irgendwie hart. Donna Haraway wird ja seit Ewigkeiten in Berlin als Theoretikerin hochgehalten. Ich habe mich nicht dafür entschieden, ich bin nicht der Typ dafür. Aber so etwas hat es schon gegeben, auch als Gesetzgebermaßnahme. Da hängen wir alle in so Wertesystemen, die vielleicht auch zu überprüfen wären. Das ist das eine Totschlagargument, das ich habe.
Das andere ist die Frage, wie viel Zeit wir eigentlich insgesamt brauchen. Harald Welzer erzählt, dass er irgendwann mal in so einer Flughafenhalle auf seinen Abflug wartete und alle an ihren Laptops saßen und arbeiteten. Da hat er sich gedacht, das ist das Problem: dieses komische Ausoptimieren, immer mehr zu tun in Hinsicht auf Produktion.8 Dann ist gerade noch ein Buch von einem Ethnologen erschienen, in dem es darum geht, dass wir gucken müssen, dass wir nicht zu viel arbeiten. Es ist gesellschaftlich relevant, die Produktion überall drastisch runterzuschrauben und die Ansprüche runterzuschrauben. Es geht darum, nicht in diesem Sicherheitsdenken à la ›Ich brauche Rücklagen noch und nöcher‹ oder in diesem Pensionsdenken, das uns gerade alle zu selbstständigen Spekulanten macht, zu verharren. Aber es wird immer weiter optimiert und konkurriert: Dann gab es ein Nachtkritik-Interview mit so einem neuen Marketing-Typen9, der sagt, dass es total dämlich sei, 80 Prozent seines Budgets für Plakate auszugeben. Das sind Werber, die Anzeigen mikropositionieren. Die sagen: ›Gebt mir alle eure Daten, ich interessiere mich nicht für einzelne Kartenkäufer:innen und biete denen dies und das an, sondern ich bilde Käufer:innen-Cluster und weiß dann aber genau, wem ich was anbiete und was nicht.‹ Es heißt, so könne die Auslastung um zehn bis 20 Prozent, wenn nicht 30 Prozent hochgetrieben werden. Das finden dann natürlich alle interessant. Deren Service abonniert man dann. Das ist merkwürdig, dass alle ihr Geschäft aufgeben, indem sie Externe bezahlen. Bei den Dingen, für die ich meine Zeit verwende, hat sich die Konkurrenz oder das Angebot in den letzten zehn Jahren – ich weiß es nicht mehr genau – verdoppelt. Weniger, aber besser zu produzieren, wäre an Theatern eine Möglichkeit, indem man sagt, man macht nicht 15, sondern nur zehn Produktionen. Immer schneller zu werden oder immer mehr auf den Markt zu werfen, weil man in diesem Aufmerksamkeitswettbewerb so besser aufgestellt ist, als wenn man nur eine Produktion in drei Monaten macht, ist eher gang und gäbe. Selbst die Letten, mit denen ich in Riga manchmal zu tun habe, fangen jetzt an, doppelt so viel zu produzieren mit weniger Bühnenbild, trotzdem sie ein supertreues Publikum haben. Da geht man ins Theater, weil man die Menschen sehen will, und man geht immer wieder hin, wenn etwas gefallen hat. Aber selbst dort müssen die Theater jetzt viel mehr machen, weil das Publikum von innen ein bisschen erodiert.
Weniger zu machen würde für die Logistik von Familien ja auch schon einen Riesenunterschied bedeuten. Für Endproben und Aufführungen ist man natürlich auch am Wochenende und abends da – so ist Theater, das ist die Branche. Aber sonstige Proben können ja auch ganz wunderbar in Zeitfenstern zwischen neun und 17 Uhr innerhalb der Betreuungszeiten von Kindern stattfinden.
Das wird schon viel gemacht; auch dass man die Proben nicht immer so zweiteilt, sondern dass man längere Proben an einem Tag macht. Das sind natürlich alles Mikromanagement-Maßnahmen. Aber an dieses Weniger-Machen wagt sich überhaupt niemand heran. Wenn du der Holding hier in Wien, zu der zum Beispiel auch Staatsoper, Volksoper, das Ballett gehört, so etwas vorschlägst, sagen die aus wirtschaftlicher Sicht einfach Nein. Das betrifft nicht nur die Frequenz, in der das sequenziell hinhaut, sondern da geht es auch darum, wie oft man spielt, also um diesen komischen Umstand, auf allen drei, vier Bühnen immer wieder zu spielen. Das ist auch etwas, wo man deutlich weniger machen könnte. Ich kann nicht genau sagen, wieso das so verteidigt wird, aber ich habe immer das Gefühl, dass weniger machen heißen würde, man müsse auch den Betrieb abbauen, man müsse dann mit 450 Leuten auskommen. So etwas würde immer mit drastischen Einschnitten ins Personal einhergehen und Einschnitte ins Personal kannst du nur bei denen machen, die neue Verträge haben und so weiter. Das Ganze ist für die Theaterinstitutionen ungesund gewachsen. Eine Neubewertung müsste wirklich von Grund auf erfolgen, aber das ist immer oder meistens kommunale Verantwortung oder Landesverantwortung, ganz selten mal Bundesverantwortung. Die Frage ist also, wer das eigentlich angehen kann, wenn die Institutionen es nicht selbst wollen und nicht selbst anfangen, sich umzubauen.
1 Karin Beier, ehemalige Intendantin des Schauspiels Köln und seit der Spielzeit 2013/14 Intendantin des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg.
2 Chefdramaturgin am Thalia Theater, Hamburg.
3 Dramaturg am Thalia Theater, Hamburg.
4 Vgl. »Burgtheater-Skandal – eine Chronologie«, ORF Wien, 27. Februar 2014, https://wien.orf.at/v2/news/stories/2633443/. Letzter Zugriff: 13. Juni 2024.
5 In Deutschland: Kindergeld.
6 Kaufmännischer Geschäftsführer von Kampnagel.
7 Vgl. Haraway, Donna, »Make Kin not Babies«, Panel 2015 und Making Kin not Population: Reconceiving Generations, hrsg. mit Adele Clark, Chicago: Prickly Paradigm Press 2018.
8 Vgl. Welzer, Harald, Selbst denken, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch 2014.
9 Vgl. Diesselhorst, Sophie, »Bei Netflix bedient«, Interview mit Hannes Tronsberg, Nachtkritik, 31. August 2022, https://nachtkritik.de/portraet-reportage/publikumsschwund-interview-mit-dem-unternehmer-hannes-tronsberg, letzter Zugriff: 31. Mai 2024.
GÖTZ LEINEWEBER, geboren in Köln, studiert dort Völkerkunde, Philosophie und postgraduiert Kulturjournalismus an der Universität der Künste in Berlin. Im Folgenden Dramaturg an Stadt- und Staatstheatern, seit 2024 am DSCHUNGEL WIEN. Er unterrichtet Dramaturgie an den Akademien für bildende Künste in München, an der angewandten in Wien und zuletzt auch in Indien und Lettland, wo er deutsche Klassiker auf ihre Tauglichkeit für nicht-hierarchischen Synkretismus untersucht. Lebt mit Familie in Wien.