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JONAS ZIPF
Geschäftsführender
Direktor Kampnagel

  

Hast du noch Fragen zum Projekt oder hast du da schon alles im Kopf?

Kannst du das kurz skizzieren, auch in Bezug auf deine Tätigkeit, damit ich das ein bisschen einordnen kann? Das Projekt selbst habt ihr ja schon anmoderiert. Ich kenne deine Arbeit gar nicht und wir lernen uns hier ja praktisch on the fly kennen.
 

Als kurze Einordnung: Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität in Hildesheim, am Institut für Kulturpolitik. Mein Forschungsschwerpunkt liegt im Changemanagement und ich habe über internationale Festivals promoviert. Da hatte ich auch schon mit Kampnagel zu tun, mit András Siebold, der das internationale Sommerfestival bei euch macht. Ich bin vom Ursprung her Theatermacherin, habe aber auch Kulturmanagement studiert und Kuratieren in szenischen Künsten. In dem Zusammenhang habe ich auch Amelie Deuflhard schon mal getroffen. Dieses Projekt ist eine qualitative Forschung. Wir reden mit etwa 30 Expert:innen aus unterschiedlichsten Bereichen, also mit künstlerischem Personal, aber auch mit Vertreter:innen auf kulturpolitischer Ebene, und holen die Perspektive von systemischen Familientherapeut:innen dazu ein, was das Konstrukt Familie eigentlich ist. Was bedeutet Care-Work? Ich bin in direkten Change-Management-Prozessen bei Kulturbetrieben freischaffend unterwegs, forsche und bin hauptamtlich in der Lehre an Universitäten in Hildesheim, Braunschweig und in Mönchengladbach.

Das hört sich sehr sympathisch an.
 

Was genau ist jetzt deine Rolle bei Kampnagel und wo kommst du her?

Ich bin jetzt sechs Wochen im Amt.1 Wenn wir jetzt über die Situation hier reden, dann bin ich noch bedingt auskunftsfähig. Natürlich kenne die Arbeit hier von vorher, aber vor allem als Gast, als Partner, früher auch als Künstler. Denn da komme ich her. Studiert habe ich Psychologie und Theaterregie, und als studierter Regisseur war ich quasi im Studium schon immer mehr Dramaturg und Kulturmanager als Regisseur. Daraus resultierte viel Nachdenken über Strukturen und darüber, wie Stadttheater sich öffnen müssen, wie Strategien der freien Szene in Stadttheater reinkommen können – das hat mich immer sehr stark beschäftigt. Ich habe eine freie Gruppe gegründet, die gibt’s immer noch. Sie heißt O-Team und sitzt in Stuttgart, operiert mittlerweile recht erfolgreich. Ich bin da aber schon seit Jahren nicht mehr aktiv dabei, weil ich dann nach dem Regiestudium nach Hamburg ans Thalia Theater kam, erst mal als Regieassistent, dann als Dramaturg, als Joachim Lux dort anfing. Dann bin ich gewechselt, in diekünstlerische Leitung am Theaterhaus Jena, war dann Schauspieldirektor in Darmstadt. Hab versucht, dort ein inklusives Ensemble aufzubauen. Bin dann wieder nach Jena zurück, weil ich in Darmstadt regelrecht gegen die Wand gefahren bin, was Strukturen im Staatstheater anbelangt, und hab die Seiten gewechselt. Bin in die Kulturpolitik, ins Kulturmanagement, war jetzt die letzten sechseinhalb Jahre in Jena der Kulturverantwortliche der Stadt, also praktisch Kulturdezernent und Kulturamtsleiter in Personalunion in einem Betrieb, ein Eigenbetrieb, der zehn Einrichtungen operativ in sich aufnimmt, JenaKultur. Und jetzt bin ich wieder zurück im Theater, und das ist wie eine Synthese. Also zurück ins Theater, zurück in die freie Szene, aber auf der anderen Seite, nicht auf der künstlerischen, sondern eben auf der Strukturseite. Kampnagel ist jetzt im Moment besonders spannend für mich, weil es hier um Strukturprozesse geht, letztlich um eine Transformation, kann man sagen, dieses Modellbetriebs, der Kampnagel ja per se schon ist, mit all dem, was hier gemacht wird. Aber Kampnagel ist jetzt noch mal auf zwei Ebenen herausgefordert, zum einen, weil gebaut wird bis 2028 und zum anderen, weil Kampnagel jetzt Staatstheater ist. Letzteres ist zwar mal nur ein rein formaler Switch, weil praktisch das Land Hamburg als Alleingesellschafter eingetreten ist. Es war vorher schon Mehrheitsgesellschafter und ist jetzt Alleingesellschafter. Aber mit diesem Titel und diesem Nimbus ›Staatstheater‹ gehen natürlich auch Strukturprozesse einher. Damit werden gesetzliche Zwänge, Berichtspflichten und so weiter noch mal wichtiger. Natürlich wird das auch eine große Auswirkung auf das Thema Tarifgerechtigkeit haben und so weiter und so fort. Das sind also zwei dicke Bretter, an denen sich Kampnagel transformiert, und das natürlich am liebsten, ohne die künstlerische Freiheit und Autonomie zu verlieren, also zwei Felder, in denen es ganz viel um Balance geht. Und mit dieser Mission steige ich hier ein.
 

Das Ganze ist sechs Wochen jung und wie ist das vorgesehen? Wie bist du selbst jetzt angestellt bei Kampnagel? Transformationsprozesse sind ja langwierige Prozesse.

Die Geschäftsverteilung und Satzung hier sieht vor, dass die Geschäftsführung immer für fünf Jahre bestellt wird. Das gilt auch für Amelie. Sie hat jetzt genau zeitgleich zu mir für weitere fünf Jahre verlängert, unter bestimmten Rahmenbedingungen, und das gilt auch für mich. Also, wir haben quasi im Sommer beide für fünf Jahre unterschrieben.
 

Das ist ja ein Zeitraum, in dem man eine ganze Menge machen kann. Noch mal konkret zu Kampnagel und Tarifgerechtigkeit. Was bedeutet das? Gibt es ein bestimmtes Vertragswerk, das ihr für euch nutzen oder das ihr neu erfinden wollt für Kampnagel? Oder gibt es Vorgaben, nach denen ihr jetzt operieren müsst?

Kampnagel hat einen Haustarifvertrag, der erst mal sehr stark aus den Bedürfnissen erwachsen ist, die hier vor allem eine alternde Technik ausverhandeln konnte in den letzten Jahren. Das meine ich mit voller Wertschätzung, aber das ist der größte Personalblock, den es hier gibt. Das sind zum Teil Leute, die noch aus der ersten Phase der Besetzung dieses Geländes hier geblieben sind, die sich auch ihre Folgegeneration herangezogen haben, also in so einem Geist, der sehr gewerkschaftlich, ich würde fast sagen, aktivistisch ist. Das passt auch zu Kampnagel, es wird ja 40 Jahre. Wir feiern diesen Freitag2 praktisch vierzigjähriges Jubiläum oder Geburtstag. Dieser Haustarifvertrag ist eigentlich eher so eine Synthese all der Notwendigkeiten, die es hier gab, die auch sehr stark aus Notwendigkeiten der freien Szene heraus gedacht wurden. Also, wenn man das mal vergleicht mit den Situationen von insbesondere Technikbelegschaften in anderen freien Produktionshäusern, wo es oft keinen Versicherungsschutz gab, zum Teil noch nicht gibt, wo es oft keine Altersvorsorge gab, zum Teil noch nicht gibt, und so weiter, dann sind das die Dinge, die hier schon geregelt wurden. Der Vertrag ist einige Jahre alt, der muss jetzt sowieso neu verhandelt werden, weil ein Teil zum Ende des Jahres ausläuft, der ganze Vertrag zum Ende des nächsten Jahres. Das heißt, er wird dann in der ersten Jahreshälfte des nächsten Jahres neu verhandelt. Und es ist schon die Uhr danach zu stellen, dass die Belegschaft sich in ihrer Erwartungshaltung in den Verhandlungen, zumindest was die Bezahlung anbelangt, auch am Staatstheaterniveau orientieren wird, also hier in Hamburg dann insbesondere an Staatsoper, Thalia und Schauspiel. Die Frage ist aber, ob die Orientierung rein am Bezahlungsniveau nicht auf der anderen Ebene auch den Verlust von Freiheitsgraden bedeutet. Dieser Haustarifvertrag hat einige Spezialregelungen, die insbesondere auf Technikarbeitsrhythmen abstellen, die dann im normalen Schichtbetrieb des Staatstheaters so nicht anliegen. Das heißt, es wird eine harte Münze sein: Geld gegen tarifliche Freiheiten im Bereich der Arbeitszeitgestaltung oder auch gegen Bonuszahlungen und Gratifikationen, will sagen, vielleicht eine etwas höhere Grundbezahlung, dafür aber weniger Privilegien in den Zusatzbezahlungen für Feierabendarbeit, Feiertagsarbeit et cetera. Das ist die Richtung, in die es gehen wird. Die Erwartungshaltung ist sehr deutlich, dass man auf ein ähnliches Niveau wie die Staatstheaterbediensteten kommt.
 

Wir beschäftigen uns in diesem Projekt mit der Frage von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da ist das Ökonomische für die Mitarbeitenden auch nicht irrelevant. Wie würdest du das einschätzen? Du bist jetzt sechs Wochen da, kennst das Haus aber schon länger. Von der Stimmung, was ist das für ein Arbeitsort? Wie wird das bei euch gelebt, interpretiert? Wie nimmst du das wahr?

Schauen wir auf den Flächentarifvertrag, dann wird klar, dass wir uns an diesem im Endeffekt nicht wirklich messen können. Das kann nicht das Ziel sein, weil die Gepflogenheiten und Abläufe in einem freien Produktionshaus noch mal andere sind und vor allem die grundhafte Personalausstattung gerade in den anderen Bereichen außerhalb der Technik nicht vergleichbar ist. Wenn ich  den Flächentarifvertrag aus dem Stadt- und Staatstheater betrachte, dann ist so ein Schichtbetrieb vor allem darüber abzusichern, dass ich einfach andere Kolleg:innen habe, die die nächste Schicht übernehmen können. Das kommt hier an Grenzen. So wie ich Kampnagel vorfinde, ist das ein Betrieb, der sich schon große Mühe gibt, um das hinzubekommen, was wir Abgrenzung nennen, in dem große Offenheit besteht, Teilzeitarbeitsverhältnisse zuzulassen. Die Mehrzahl der Mitarbeitenden ist jetzt schon in Teilzeit. Das sieht man, wenn man die Anzahl der Köpfe mit der Anzahl der Stellenanteile vergleicht. An Stellenanteilen gemessen sind das um die 150, wenn man allerdings auf die Köpfe guckt, sind es wesentlich mehr. Und wenn man noch mal auf die Anzahl der festen Freien guckt, die letztlich von Kampnagel leben, aber nicht angestellt sind, dann zeigt sich, dass das typische Arbeitsweisen der freien Szene sind. Für das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie insbesondere gibt es hier große Bestrebungen, diese Abgrenzung noch feiner zu ziselieren und noch bessere Angebote seitens des Arbeitgebers zu verankern. Der Betriebsrat bemüht sich hier beispielsweise schon eine Weile um eine Betriebskita. Das, was bisher erreicht wurde, ist die überdurchschnittlich hohe Zahl von Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen und einige Sondergratifikationen. Grundsätzlich ist unser Produktionszyklus mit Familien nicht gut zu vereinbaren, also der ganze Jobsektor im Theaterbereich. Das gilt auch für die Staatstheater. Die Empirie, soweit ich sie kenne, zeigt, dass es, wenn es zum Beispiel innerhalb von künstlerischen Ensembles zur Familiengründung kommt, es eher mit anderen Bühnenangehörigen passiert, als mit Leuten von außerhalb des Betriebs – und dass es weniger Familiengründungen gibt als im Durchschnitt der Gesellschaft, schon alleine, weil die Leute, gerade das künstlerische Personal, alle fünf bis acht Jahre die Stadt wechseln. Das ist hier weniger der Fall, weil wir kein künstlerisches Ensemble haben. Wir haben keine Schauspieler:innen, keine Tänzer:innen, keine Musiker:innen. Das sind immer freie Kompanien, das kommt alles über die freien Gruppen, die hier gastieren. Da gibt es eine sehr hohe Kongruenz. Die Leute bleiben lange, können darauf aufbauend Familienplanung machen, und es ist sehr familiär vom Betriebsklima. Es wird sehr viel spontan improvisiert, um im Beruf und Lebensalltag Dinge möglich zu machen. Eine gewisse Grundsolidarität unter Kolleg:innen, gegenseitig füreinander zu covern und dafür zu sorgen, dass auch außerhalb des Dienstplans was geht, was sonst nicht gegangen wäre, ist hier höher als woanders. Das kann ich aus meiner Erfahrung an den anderen Theatern schon jetzt deutlich so wahrnehmen. Und das meine ich, wenn ich von einem Balanceakt rund um das Dasein als Staatstheater spreche: Bei aller Standardisierung kommt es darauf an, die Agilität zu wahren, die Kampnagel besonders auszeichnet. Ich bin mir nicht sicher, ob das mit den Erwartungshaltungen an die höhere Bezahlung zusammen passt: Denn damit ist ein Verlust an Freiheitsgraden verbunden!

Du hast gesagt, dass es bei Kampnagel viel mehr Teilzeitstellen gibt als andernorts. Teilen sich manchmal auch zwei Personen eine Stelle? Es ist ja ein Unterschied, ob ich mit einer 50-Prozent-Stelle eine bestimmte Funktion erfülle, wo ich manchmal auch mehr als diese 50 Prozent reingeben muss, um die Funktion zu erfüllen. Oder ist es so, dass kollektiv auf eine Funktion besetzt wird?

Die meisten Teilzeitstellen sind keine geteilten Stellen, sondern quantitativ niedriger bewertete Tätigkeiten. Aber es gibt auch Stellen, die sich mehrere Leute teilen. Gerade gute junge Leute wünschen sich diese Vereinbarkeit immer mehr und wollen nicht mehr voll arbeiten. Das heißt, ich muss dafür Lösungen finden und will das auch. Ich habe selbst drei kleine Kinder. Je höher der Verantwortungsgrad ist, desto schwieriger ist es aus der Sicht des Arbeitgebers oder Geschäftsführers. Bei uns ist die Abteilungsleitung der Videoabteilung eine geteilte Stelle. Die Rechnung, zwei halbe Stellen sind eine ganze, geht aber nicht automatisch auf. Die haben einfach Abstimmungsbedarf, wenn sie leiten – also koordinieren und planen – müssen. Zwischen die zwei Menschen, die zusammen eine Leitungsstelle innehaben, darf quasi kein Blatt Papier passen, weil sie sonst auch gegeneinander ausgespielt werden könnten. Diese Abstimmungsbedarfe muss ich also einplanen. Wenn ich das nicht mache, kommt es schnell zu Überstunden et cetera, das ist ein zweischneidiges Schwert, wo der Anspruch weiter ist als die die betriebliche Realität.
 

Was sind aus deiner Sicht die Stellschrauben? Liegen sie in der Struktur des Theaters, im Tarifvertrag, in der vorhin beschriebenen Arbeitskultur oder außerhalb der Organisation?

Ich hab da zwei Währungen, die miteinander korrespondieren: Ich kann Arbeitnehmer:innen mit weniger Geld nach Hause gehen lassen, wenn die Arbeitszufriedenheit dadurch höher ist – wenn zum Beispiel vorher fest abgemachte freie Tage im Spielplan planbar sind. Das ist bei uns ein besonders großes Thema, weil wir anders als andere Theater keine Betriebsferien im Sommer haben. Das heißt, ich kann solchen Bedürfnissen entgegenkommen, indem ich den Geldwert ausgleiche. Und das kann natürlich auch über den Tarifvertrag gestaltet werden. Wenn wir jetzt aber mal auf eine andere Stellschraube oder ein anderes Instrument gucken, dann ist das insbesondere die Art und Weise, wie Arbeit organisiert wird. Ich würde da von Digitalität sprechen, und zwar in Abgrenzung zu einem Digitalisierungsbegriff, der nur über Software und Hardwarekompetenzen spricht. Digitales oder ›digalitäres‹ Arbeiten, so wie ich das nenne, ist eins, in dem parallel vernetzt, gedacht, dokumentiert und nachgehalten wird, sodass von allen Stellen und an allen Orten immer darauf zugegriffen werden kann, im Sinne einer lernenden Organisation. Das ist ein transparentes Arbeiten, bei dem die Zwischenstände der Arbeit so weitervermittelt werden, dass alle anderen auch daran anknüpfen können. Das ist ein Thema nicht nur, wenn wir über Teilzeitstellen und Abgrenzung reden, sondern auch Homeoffice, was zunehmend nachgefragt wird. Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass ich Systeme habe, in denen das überhaupt geht, ohne physische Präsenz, ohne 1:1-Abstimmungen. Damit sind nicht nur Videokonferenzen gemeint, sondern einfach klassische Tools des Projektmanagements. Wir sind noch weit davon entfernt, Zwischenschritte praktisch zu dokumentieren und nachzuhalten, sodass und andere sie einfach nachvollziehen können. Hier haben wir eine Sitzungskultur, die jetzt nicht unbedingt sehr gut darin ist, Ergebnisse festzuhalten und sie digital abzubilden, sodass andere personenunabhängig darauf aufbauen können. Da geht noch sehr viel, und ich nenne es deswegen ›digalitär‹ als Adjektiv oder Digitalität als Substantiv, weil es eine ganz andere Art und Weise des hierarchiefreieren Arbeitens, Kommunizierens, letztlich auch Lebens sein kann. Das setzt nur wirklich ein komplett verändertes Mindset voraus. Bis wir wirklich da ankommen, muss wahrscheinlich eine weitere Generation gewechselt haben. Aber da muss man hin. Digitalität hat in ganz starker Art und Weise viel mit diesen Themen zu tun.
 

Du hast gesagt, es ist eine gewachsene Mitarbeiterschaft, teilweise auch aus aktivistischem Hintergrund. Hast du manchmal das Gefühl, dass diese Erzählung von künstlerischer Freiheit durch neue Arbeitsmethoden beschnitten wird? Gibt es da Konflikte oder triffst du eher auf offene Ohren, wenn es darum geht, die eigenen Arbeitsweisen zu verändern?

Wenn es aus der Richtung ›Wir sind jetzt Staatstheater, deswegen müssen wir: …‹ kommt, gibt es ganz viel inneren Widerstand. Oder wenn es von jemandem kommt wie mir, der hier neu anfängt und den sie erst kennenlernen müssen, um zu verstehen, dass ich von der künstlerischen, aktivistischen Seite auch sehr viel halte und dass ich ganz bewusst und vollen Herzens hierhergekommen bin. Sonst bin ich von außen betrachtet erst mal einer, der aus der Politik ins Theater gewechselt ist oder der irgendwelche Kulturmanagement-Dinge sagt, englische Worte gebraucht und so weiter. Dann gibt es erst mal ganz viel Widerstand. Was Kampnagel aber ganz stark auszeichnet, ist das internationale, freie Produzieren – auch in dezentraler Art und Weise. Diese internationalen Produktionszusammenhänge ja ganz viel in Koproduktionszusammenhängen denken und arbeiten. Das sind dann Companys, die heute hier, nächste Woche in Amsterdam, übernächste Woche in Montreal sind und logischerweise schon in einem ganz anderem Maß auf digitale Arbeitswege und Mittel zugreifen, auch international und über Sprachbarrieren hinweg. Dann sind da noch diese aktivistischen Kreise, an die Kampnagel extrem stark angeschlossen ist und die auch zum Teil so arbeiten – ob wir jetzt in der Klimawandelbewegung schauen oder im Umfeld der ganzen Flüchtlingsthemen. Da ist Kampnagel sehr stark aufgestellt. Der Großteil der Belegschaft identifiziert sich genau mit diesem Teil des Programms. Diese Gruppen arbeiten auch schon mit sehr vielen digitalen Mitteln und dafür gibt es dann wieder eine große Sympathie. Das heißt, es kommt darauf an, aus welcher Richtung man es einfädelt und framt für den internen Change-Prozess. Wenn man es aus den letzten beiden Richtungen framt, vor allem aus der aktivistischen, hat man hier eine große Akzeptanz. Aus der künstlerischen Richtung geframt ist es so halb-halb, glaube ich. Da gibt es dann auch wieder sehr viel Reibung, weil die internationalen Gruppen natürlich auch ein Grad an Überfliegertum, eine gewisse Watching-by-Helicopter-Mentalität, haben, die nicht immer ganz vor Ort landet. Aber dann gelingt es eher, als wenn ich so einen Change-Prozess aus dem Stadttheater nehme. Wir haben einen Visions- und Zukunftsprozess. Der läuft hier schon seit über einem halben Jahr. In den darf ich jetzt mit einsteigen. Für mich eine ganz tolle Grundlage. Da gibt es eine externe Coachin, Christina Barandun, die sowohl aus diesem ganzheitlichen Coaching-Denken kommt, als auch vom Theater. Das heißt, sie tönt nicht ganz so unternehmensberaterisch daher, sondern wird von den Leuten akzeptiert, weil sie auch vom Theater Ahnung hat. Es ist ein wesentlicher Teil dieses Zukunftsprozesses, nicht nur hochtrabende Leitbilder, Mission- und Vision-Statements zu erarbeiten. Das tun wir auch, aber es geht auch darum, klassische quick wins in den Bereichen Sitzungskultur, Arbeitsabläufe, Schnittstellen, was oft Produktionskette heißt, zu erarbeiten. Da ist hier schon einiges passiert, worauf ich aufbauen kann. Der Prozess soll bis nächsten Sommer zu einem dokumentierten Ergebnis im Sinne eines Zwischenstands mit einem Soll/Ist-Abgleich und daraus resultierenden Zielsetzungen kommen.
 

Macht ihr diesen Prozess transparent? Kann man zum Beispiel auf eurer Webseite einsehen, was ihr gerade macht, womit ihr euch beschäftigt und wo ihr steht, oder ist das intern?

Der ist intern maximal transparent, würde ich sagen. Er ist aus einer Bottom-up-Logik heraus entstanden und deswegen muss er nach außen noch größtenteils geschützt bleiben. Wir haben gerade definiert, mit welchen Meilensteinen wir nach und nach nach draußen gehen wollen. Im nächsten Jahr (2023) werden wir so weit sein, dass wir erst mal Stakeholder und Gruppen abholen, die uns besonders nahestehen, etwa in der Freien Szene Hamburgs und darüber hinaus. Dann wollen wir auch in die Öffentlichkeit gehen und den Prozess zur Verfügung stellen. Aber weil er intern eine Verschränkung von Bottom-up und Top-down darstellt und viele sensible Themen berührt, muss es dafür einen geschützten Raum geben. Sonst gehen wir damit offen um. Es gibt jetzt schon Punkte, an denen wir darüber sprechen und Zwischenergebnisse vorstellen.
 

Du hast gesagt, ihr habt eine externe Beraterin, die auch aus dem Theater kommt. Ich glaube, das ist ganz entscheidend. Was macht ihr auf der Tool-Ebene? Nutzt ihr digitale Tools? Macht ihr Fortbildungen irgendeiner Art, auch mit der Belegschaft?

Es gibt eine Lenkungsgruppe, die die Change-Pilot:innen abteilungsübergreifend versammelt. Sie kommt regelmäßig digital zusammen und arbeitet mit allen Mitteln, die man dabei so braucht, etwa mit eineme Padlet oder einem gemeinsamen Ordner in der Cloud, in dem Zwischenergebnisse geteilt werden. Und dann gibt es punktuell Formate, die wir mit ihr als Moderatorin und Coachin zusammen machen – vom klassischen Coaching der Geschäftsführung, also zwischen Amelie und mir, bis hin zu einer Leitungsrunden-Klausur: Außerdem gibt es Fortbildungen, die wir gezielt auf Grundlage bestimmter Bedürfnisse einkaufen, zum Beispiel zu Gewaltfreiheit in der Kommunikation. Es gab eine einwöchige Fortbildung zum Thema Diversity in der letzten Spielzeit. Die nächste ist tatsächlich zum Thema gewaltfreie Kommunikation. Das gab es schon mal und wird es auch wieder geben. Das kommt immer etappenweise.
 

Etappenweise heißt?

Quartalsweise. Und dann auch in unterschiedlicher Intensität, also tageweise mal als Bestandteil des Prozesses. Jetzt vor zwei Wochen war der sogenannte Strategietag, kurz vom Sommer war der sogenannte Visionstag. Und dann kommen diese zusätzlichen Vertiefungen zu Einzelthemen, Diversity mal eine ganze Woche, Gewaltfreiheit dann zwei Tage.
 

Und wer nimmt daran teil? Du hast gesagt, es gibt Termine mit der Leitungsrunde, aber gibt es diese Fortbildungen auch für die Mitarbeitenden? Müssen sie zwei aus drei wählen oder wie macht ihr das?

Die Fortbildungen sind immer für alle. Es gibt auch Themen, die im Rahmen unserer gesetzlichen Fürsorgepflichten liegen. Das letzte war Datenschutz. Diese Fortbildungen sind verpflichtend. Dann gibt es welche, die freiwillig sind, aber während der Arbeitszeiten stattfinden, wie die zum Thema Diversity. Sie haben auch eine hohe Rücklaufquote, da kommen also schon relativ viele Leute. Selbst zum Strategietag, der eigentlich eine Sache zwischen Leitungsrunde und dieser Arbeitsgruppe, von der ich gesprochen habe, ist, kommen knapp 40 Leute, also zwischen einem Viertel und einem Drittel der Belegschaft. Das ist nicht wenig!
 

Hast du den Eindruck, dass sich die Theaterlandschaft im letzten Jahrzehnt schon sehr verändert hat, oder ist dein Eindruck der, dass es noch mal 50 Jahre braucht? Du kennst die Szene schon ein paar Jahrzehnte und hast sie aus unterschiedlichen Perspektiven beobachtet. Wie nimmst du die Stimmung wahr, wenn du jetzt auf die deutsche Theaterlandschaft guckst?

Der Transformationsdruck ist schon total spürbar. Aber ich glaube, es wird noch nicht ausreichend breit geteilt, was Transformation eigentlich heißt. Für mich sind das im Wesentlichen drei Themen: Digitalität, Inklusion als weit gefasster Begriff der Beteiligung aller Minderheiten und Nachhaltigkeit. Letzteres nicht nur in Bezug auf den CO2-Fußabdruck, sondern auch in Bezug auf gesundes Arbeiten. Das sind alles Transformationen, aber es wird noch nicht breit genug verstanden, was Transformation eigentlich heißt, nämlich dass diese Dinge passieren, ob wir wollen oder nicht. Wenn wir uns als Kulturinstitutionen da nicht proaktiv einklinken, schaffen wir uns selber ab, weil wir es zunehmend schwer haben werden, Arbeitskräfte und politische Mehrheiten zu gewinnen, Zuschüsse zu bekommen oder Drittmittel einzuwerben, weil gesellschaftliche Züge ohne diese hochkulturellen Institutionen abfahren. Da tun sich Museen, aber insbesondere Theater extrem schwer. Es gibt eine ganz große Kluft zwischen Diskurs und Meta-Bewusstsein der Zuschauer:innen. Die Dramaturgische Gesellschaft (DG) hat in den Nuller-Jahren schon die diversen Ensembles groß diskutiert, und es waren mehr oder weniger alle Stadttheater dabei. Aber 50 Jahre sind bei dem Transformationsdruck, über den wir reden, viel zu lange. Und die fast 20 Jahre, die zwischen der ersten bahnbrechenden Jahreskonferenz der DG in Freiburg, die damals die Diversifizierung der Ensembles gefordert hat, und heute liegen, sind auch schon zu lang. Es hilft auch nicht, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, also zu sagen, die Ausbildungsinstitutionen müssen sich zuerst ändern, damit andere Leute kommen, oder die Politik muss sich zuerst ändern, bevor wir uns ändern. Wir brauchen andere Vorgaben in unseren Rahmenverträgen, unseren Zielvereinbarungen oder in den Kulturkonzeptionen und in den Kulturentwicklungsplänen. Irgendjemand muss irgendwie anfangen. Eigentlich müssen alle auf einmal anfangen, weil Transformation eben passiert. Die Städte sind so divers und sie müssen noch diverser werden, wenn wir volkswirtschaftlich nicht abschmieren wollen. Die Kulturinstitutionen haben ihre Vorreiterrolle schon verloren. Wenn ich auf die Kulturpolitik der Siebzigerjahre und Hilmar Hoffmanns »Kultur für Alle« zurückschaue, gab es da noch eine Spur von Vorreiterschaft, in der man gesagt hat, wir können in der Kultur Wege für den Rest der Gesellschaft bahnen. Wie sich soziale Arbeit und Kunst und Kultur damals miteinander verbunden haben in ihrer Vorreiterrolle, das haben die Kulturinstitutionen schon lange verloren. Sie müssen überhaupt erst mal wieder in die Mitte gelangen und Anschluss finden an das, was in den gesellschaftlichen Bereichen schon längst passiert. Ihr Selbstbild ist aber, dass sie immer noch Vorreiter sind, und das ist total schizophren. Auf der Diskursebene sind sie das auch zum Teil – über die Dinge wird geredet, aber sie machen es nicht. Es passiert nicht, indem ich noch ein Drittmittelprojekt zum Thema Klima einwerbe und es auf der Probebühne umsetze, sondern es passiert nur dann, wenn ich es in die Mitte der Ressourcenplanung und den Kern meiner Arbeit stelle. Das ist an diesem Ort hier ganz anders. In Jena musste ich diese Diskurse praktisch jeder Stabsstelle, also Leuten, die neben mir auf Leitungsebene in der Strategie mitgearbeitet haben, nachtragen und darüber reden. Hier komme ich an und die Meisten – von der Kassenmitarbeiterin bis zur Technikerin, die abends die Show fährt –  teilen das Grundbewusstsein, die Haltung und die Werte, und darauf kann man aufbauen. Das macht einen Riesenunterschied.
 

Du bist jetzt in einer sehr spezifischen Situation: an einem Haus, das schon wach ist und losgeht. Du hast auch die Soziokultur erwähnt und Arbeitstechniken, die aus der IT oder Start-ups kommen, die viel schneller und viel besser vernetzt sind. Müssen wir jetzt besonders schnell werden oder hast du den Eindruck, dass in manchen Prozessen vielleicht auch Zeit ist?

Zunächst würde ich sagen, dass sich diese Verteilungskämpfe in den nächsten zwei, drei Jahren leider nur indirekt ändern, und zwar in implodierender Art und Weise. Schon vor COVID ist eine Implosion da gewesen in den Stadttheatern. Und das wird sich noch beschleunigen aus einem ganz simplen Grund: weil die Fördermittelgeber, privat oder öffentlich, die diese Transformation tatsächlich in ihre Programme übersetzen, Incentives dafür schaffen. Die sind für die Grundausstattung der Kulturinstitutionen immer noch eher Zusatz. Durch den Föderalismus, das Kooperationsverbot und weil wir mit Paragraf 5 des Grundgesetzes den Freiheitsschutz der Kunst haben, wird sich diese Entwicklung nur sehr träge fortsetzen. Die Stellschraubeninstrumente, die wir da bräuchten, haben wir nicht und der Weg ist leider noch ziemlich weit. In zwei, drei Jahren werden die Ressourcen schon knapper werden. Kulturentwicklungspläne, Kulturkonzeptionen, Rahmenverträge für die Kulturinstitutionen, Zielvereinbarungen mit deren Leitungen, also das, was die Träger eigentlich leisten müssten, das ist eigentlich der Kern dessen, was sich verändern müsste, nicht das nächste Förderprogramm der BKM oder privater Stiftungen. Das ist alles super, das sind quasi die Impulsgeber. Aber solange das nur dort stattfindet, wird dieses Gefühl, es sei nur ein Zubrot, das ich oben draufsetze und ich komm noch anders durch, in der Fläche weiter vorhalten. Es wird die Fläche nicht substanziell verändern. Wir sind in zweiter Linie – nach den Zuschüssen des Landes Hamburg – von Drittmitteln abhängig, die aus eben der Richtung kommen, von der ich gerade sprach. Das heißt, da müssen wir uns auch als Modellbetrieb besonders hervortun, um diese Mittel zu bekommen. Da ist es ein Wettbewerb, der durch diese Förderpraxis leider auch noch begünstigt wird. Diese Transformation kann nur gelingen, wenn wir Ressourcen innerhalb des Betriebs großteilig umschichten, wenn wir sagen, wir produzieren weniger, dafür qualitativer und nachhaltiger, sodass wir vor allem Zeit, Personal, Räume und Geld dafür haben. Jetzt passiert das alles auch bei uns, ehrlich gesagt, immer noch oben drauf. Diese Fortbildung, jene Schulung, diese Visions-, Zukunfts-, Veränderungsprozesse kommen für jede:n Einzelne:n, vor allem für die leitenden Angestellten, einfach oben drauf. Das geht nicht. Und das ist auch das größte Versäumnis der COVID-Phase. Das war die große Chance, sich zumindest phasenweise die Zeit zu nehmen und zu nutzen, um das zu antizipieren. Das ist nicht geschehen. Viele Häuser haben weiterproduziert, dann eben für den digitalen Raum oder auf Halde, oder sie haben ihre Leute nach Hause geschickt, um sich finanziell kernzusanieren. Das ist vor allem denjenigen, die große künstlerische Ensembles haben, kurzfristig auch gelungen. Jetzt haben sie hohe Rücklagen, mit denen sie die nächsten zwei, drei Jahre ganz gut überleben können. Aber das hilft ihnen mittel- und auch langfristig nicht. Wir müssten eigentlich weniger machen oder teilweise Betriebsferien einlegen, um überhaupt irgendwie hinterherzukommen. Aber jetzt reden wir wieder über die kulturpolitische Logik: Das ist natürlich nicht darstellbar mit diesen Rahmenverträgen mit den Kennziffern, die zu erreichen sind. Das traut sich auch keiner. Ich werfe jetzt ein Schlaglicht auf das Thema Raum und wie die Räume sich transformieren müssten. Wir haben so viele Stadt- und Staatstheater bundesweit, die gerade umgebaut werden. Das ist ein auffälliges Thema, und die Diskussionen sind extrem. Auch wenn man auf die Beträge guckt, um die es da geht: über eine Milliarde in Frankfurt, über eine Milliarde in Köln. Die eigentliche Diskussion, die die Theaterleitungen nur hinter vorgehaltener Hand führen, ist aber die: Wir bräuchten eigentlich andere Zuschauerräume. Es wäre gut für uns, wenn wir mehr experimentieren könnten und nicht an 250 Abenden im Jahr ein Repertoire spielen und den Betrieb stets mit über 1000 Plätzen füllen müssten. Es wäre gut für uns, wenn wir andere Zuschauer:innenverhältnisse künstlerisch-ästhetisch einüben könnten und nicht nur in Frontal- und Zentralperspektive spielen müssten. Es wäre toll, wenn wir die Räume öfter anderen zur Verfügung stellen könnten, wenn wir nicht irgendeine Einmietung von einem Zahnärztekongress hätten, sondern etwas gesellschaftlich Relevantes auf unserer Bühne stattfinden würde. Aber wir haben ein Einnahme-Soll. Wir haben Kennziffern zu bringen. Wir haben ein Ensemble, einen Repertoire-Spielbetrieb, den wir bezuschusst bekommen, solange wir ihn haben. Wenn wir das infrage stellen, dann sagen die Träger uns, dass wir vielleicht zehn Schauspieler:innen weniger brauchen. Oder dass wir, wenn wir nicht 250-mal im Jahr, sondern nur noch 200-mal im Jahr spielen und dafür 50 Einmietungen machen, weniger Geld von ihnen benötigen. Deswegen traut sich keiner, das zu thematisieren. Man ist da so ein bisschen das Kaninchen vor der Schlange. Da fehlt uns deutlich der Bund als kulturpolitischer Kompassgeber, der auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen schafft. Um noch ein konkretes Beispiel zu bringen: Antidiskriminierung – Bundesgesetzgebung, Klimaschutz – Bundessache. Alles passiert auf dieser Ebene, aber wenn es kulturpolitisch in die Länder und Kommunen hinuntergesickert ist, ist es zu spät. Da ist das Kooperationsverbot ein Killer, doch darüber wird kulturpolitisch nicht ausreichend geredet. Wir bräuchten jetzt ganz schnell diesen kulturpolitischen Mut, der sagt, ihr kriegt weiter die gleiche Bezuschussung. Wir setzen auch in Zukunft auf euch, aber wir geben euch jetzt Luft und Zeit. Ja, ihr könnt auch 200-mal statt 250-mal spielen, und ja, ihr könntet auch weniger Einnahmen haben. Ihr müsst euch jetzt transformieren, sonst seid ihr weg. Das ist eine Pattsituation.
 

Wir haben ja eine ganze Menge Geld für den Kunst- und Kulturbereich in diesem Land, gerade im internationalen Vergleich. Dann gibt es diese Baukosten und Sanierungskosten für Häuser. Es gibt ja auch den Gedanken, die Häuser alle zuzumachen oder auszudünnen. Wie kommt man aus diesem Dornröschenschlaf raus, in dem das Geld teilweise völlig falsch investiert wird?

Ich glaube, da kommt man nur raus, um es mal radikal zu vereinfachen, indem man sagt, man schließt gar nichts. Man dreht die Zuschüsse nicht runter, sondern geht die Progressionen, die anstehen, auch mit – personalkostenseitig und inflationsseitig. Man kommt aber weg von den rein quantitativen Messbarkeiten, die man auch nicht ersetzen kann. Man müsste unter der Maßgabe der Freiheit der Kunst sagen, wir vertrauen euch für eine Phase X. Da fehlt aber die große Steuerung der Ebene, wo eine Legislatur auf Bundesebene mal so laufen könnte und sagt, ihr habt eine Blaupause, innerhalb der ihr etwas aus der Fessel der quantitativen Messbarkeit entlassen werdet und bei selber Bezuschussung die Chance hättet, euch zu transformieren. Und ihr setzt freiwerdende Ressourcen – Geld, Zeit, Personal – ein, um die Transformation zu bewerkstelligen. Wenn ein Unternehmen am Ende ist, muss es antizyklisch denken, um irgendwie wieder auf die Beine zu kommen und dann wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Und das geht natürlich nicht, wenn ich es weggebe. Aber leichter gesagt als getan.

 

 

 


Seit August 2022 ist JONAS ZIPF Kaufmännischer Geschäftsführer auf Kampnagel Hamburg. Zuvor arbeitete er von 2016-2022 als Werkleiter von JenaKultur, des städtischen Eigenbetriebs für Kultur, Kulturelle Bildung, Tourismus und Marketing in Jena. In seiner Funktion war der studierte Musik- und Sprechtheaterregisseur der Kulturverantwortliche der Stadt Jena und initiiert Kulturprojekte und stadtgesellschaftliche Prozesse wie „72 Stunden Urban Action Lobeda“. Daneben fungierte er als Präsident des Thüringer Kulturrats. Zuvor war er als Dramaturg, Regisseur und Schauspieldirektor tätig, u. a. als Mitbegründer der Freien Gruppe O-Team in Stuttgart, am Thalia Theater Hamburg, dem Theaterhaus Jena oder dem Staatstheater Darmstadt. Jonas Zipf bsolvierte 2009 den Studiengang Regie an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München.