Für unseren gemeinschaftlichen Transformationsprozess hin zu mehr Familienvereinbarkeit an Theatern, hat das Frauenkulturbüro NRW mit Expert*innen der Theaterwelt Gespräche geführt. Ihre Perspektiven und Erfahrungen beleuchten praxisnah die herausfordernde Situation und Lösungsmöglichkeiten von Familie am Theater.
Die Gespräche sind Bestandteil der mixed-method Recherche zur Entwicklung des Policy-Baukastens.
1. Lisa Jopt, Präsidentin der GdBA
2. Ulrich Khuon, Intendant Schauspielhaus Zürich
3. Annika Mendrala & Johanna Bantzer, Künstler*innen
und Vorstandsmitglieder der Bühnenmütter* e.V.
4. Jonas Zipf, Geschäftsführender Direktor Kampnagel
5. Götz Leineweber, Dramaturg und Theaterschaffender
Foto: Sinje Hasheider
In einer grundlegenden Reform des NV Bühne muss Familienvereinbarkeit mitgedacht werden. Denn in einem Theaterplanungssystem, dass auf der Spontaneität und Verfügbarkeit von Mitarbeitenden aufbaut, potenziert sich der bundesweiten Mangel an Betreuungspersonen wie eine Mischung aus Nitro und Glyzerin – das macht zwangsläufig PENG!
LISA JOPT ist seit 2021 geschäftsführende Präsidentin der GdBA. Sie ist die erste Frau in diesem Amt und steht nebenbei als Schauspielerin regelmäßig vor der Kamera. Bis 2010 studierte sie Schauspiel an der HMT in Leipzig und gründete 2015 gemeinsam mit der damaligen Regieassistentin Johanna Lücke das ensemble-netzwerk, ein Verein, der sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen rund um die Landes-, Stadt- und Staatstheater einsetzt. 2018 initiierte sie außerdem gemeinsam mit Nicola Bramkamp die Konferenzreihe Burning Issues – performing arts & equality.
Foto: Paul Lozza
Man muss gute Systeme und Rahmensetzungen haben. Die, die wir haben, müssen wir handhabbar machen, nicht unter ihnen leiden, sondern sie benutzen. Nicht klagen, das System sei so starr, sondern versuchen, das System biegsam zu kriegen – das ist der Job in Hinblick auf Familienvereinbarkeit.
ULRICH KHUON ist Dramaturg und Theaterintendant. Er studierte Rechtswissenschaft, Theologie und Germanistik. 1980 wurde er Chefdramaturg am Theater Konstanz, ehe er von 1988 bis 1993 die Intendanz des Hauses übernahm. Im Anschluss war er von 1993 bis 2000 Intendant am Schauspielhaus Hannover und übernahm zur Spielzeit 2000/2001 die Leitung des Hamburger Thalia Theaters. 1997 wurde er zum Professor an der Hochschule für Musik und Theater Hannover ernannt. Von 2009-2023 war er Intendant des Deutschen Theaters Berlin. Ab Sommer 2024 leitet Ulrich Khuon für ein Jahr als Interims-Intendant das Schauspielhaus Zürich. Von 2017 bis 2021 war er Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Im Frühjahr 2020 wurde Ulrich Khuon für sein Eintreten für eine demokratische Debattenkultur, für Geschlechtergerechtigkeit und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Künstler:innen mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Ulrich Khuon ist Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und der Akademie der Künste Berlin.
Foto: Andrea Kremper (l), Jakob Fliedner (r)
Mutterschaft und Elternschaft ist ein totales Potenzial! Dieses Potenzial benötigt eine neue Wertschätzung – und zwar nicht nur in den Berufen des Theaters. Das ist gesamtgesellschaftlich relevant.
Die Hamburgerin ANNIKA MENDRALA ist diplomierte Opernsängerin und Gesangspädagogin und sang als Ensemblemitglied und Gast an diversen Theatern im In- und Ausland. Als Konzertsängerin ist sie besonders im norddeutschen Raum im lyrischen Sopranfach zu erleben. Aus Gründen der Vereinbarkeit mit 2 Kindern, hat Annika Mendrala inzwischen zusätzlich eine private Gesangsklasse von 20 Schüler*innen, arbeitet als Stimmbildnerin des Chores St. Johannis Harvestehude und leitet mit C. Bender zusammen das VOKALWERK Hamburg. An der Hochschule der Künste Bern arbeitet sie als Dozentin beim Weiterbildungsstudiengang CAS Singstimme. Sie hat mit Verena Usemann zusammen die Bühnenmütter* gegründet.
JOHANNA BANTZER Geboren 1978 in Zürich. Sie wuchs in Hamburg auf und studierte Schauspiel an der Zürcher Hochschule der Künste. In festen Ensembles arbeitete sie am Theater Basel, am Staatstheater Hannover, und an der Volksbühne in Berlin. Derzeit ist sie am Staatstheater Hannover u.a. als „Die Ärztin“ in einer Inszenierung von Stephan Pucher zu sehen. 2021 spielte Johanna Bantzer, neben Martin Vischer die Hauptrolle in der Schweizer Streaming Serie „Emma's Glück“ von Autorin Laura de Veck, unter der Regie von Bettina Oberli. An der Volksbühne war sie u.a. 2020 als Klytaimestra in der „Orestie“ von Thorleifur Örn Arnasson zu sehen, im selben Jahr ebenfalls als „Kaiser von Kalinfornien“ in der gleichnamigen Arbeit von Alexander Eisenach. Sie spielte 2015/16 an den Salzburger Festspielen die „Gute Werke“ in Jedermann. Johanna Bantzer wurde mit dem Schweizer Filmpreis und dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet und durfte 2005 im Shooting Star Programm der European Film Promo on die Schweiz bei diversen Festivals vertreten. Johanna Bantzer betreibt mit anderen Theaterleuten die Büdnerei Lehsten, einen Kulturort in Mecklenburg Vorpommern, sie ist Vorstandsmitglieder der Bühnemütter* e.V. und Mutter von zwei Kindern. Seit der Spielzeit 2022/23 ist Johanna Bantzer wieder festes Ensemblemitglied am Schauspiel Hannover.
Foto: TPeissker
Familienvereinbarkeit ist zu verstehen als ein wesentlicher Anteil des Transformationsdrucks. Da sind im Wesentlichen drei Themen zu sehen: Digitalität, Inklusion als weit gefasster Begriff der Beteiligung aller Minderheiten und Nachhaltigkeit. Transformation heißt, dass diese Dinge passieren, ob wir wollen oder nicht und wir uns als Kulturinstitutionen selber abschaffen, wenn wir uns da nicht proaktiv einklinken.
Seit August 2022 ist JONAS ZIPF Kaufmännischer Geschäftsführer auf Kampnagel Hamburg. Zuvor arbeitete er von 2016-2022 als Werkleiter von JenaKultur, des städtischen Eigenbetriebs für Kultur, Kulturelle Bildung, Tourismus und Marketing in Jena. In seiner Funktion war der studierte Musik- und Sprechtheaterregisseur der Kulturverantwortliche der Stadt Jena und initiiert Kulturprojekte und stadtgesellschaftliche Prozesse wie „72 Stunden Urban Action Lobeda“. Daneben fungierte er als Präsident des Thüringer Kulturrats. Zuvor war er als Dramaturg, Regisseur und Schauspieldirektor tätig, u. a. als Mitbegründer der Freien Gruppe O-Team in Stuttgart, am Thalia Theater Hamburg, dem Theaterhaus Jena oder dem Staatstheater Darmstadt. Jonas Zipf bsolvierte 2009 den Studiengang Regie an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München.
Foto: Basav Biradar
Die Gestaltung des Anstellungsverhältnisses ist entscheidend. Man muss die beruflichen Schritte innerhalb von Elternschaft immer zusammen lesen. Wenn beide Personen weisungsgebunden sind, wird es schwierig. Einer muss Nein sagen können. Oder es gibt Absprachen mit Menschen, die das Neinsagen tolerieren.
GÖTZ LEINEWEBER, geboren in Köln, studiert dort Völkerkunde, Philosophie und postgraduiert Kulturjournalismus an der Universität der Künste in Berlin. Im Folgenden Dramaturg an Stadt- und Staatstheatern, seit 2024 am DSCHUNGEL WIEN. Er unterrichtet Dramaturgie an den Akademien für bildende Künste in München, an der angewandten in Wien und zuletzt auch in Indien und Lettland, wo er deutsche Klassiker auf ihre Tauglichkeit für nicht-hierarchischen Synkretismus untersucht. Lebt mit Familie in Wien.